Osaka: Bunraku 1

März 3, 2013

Kurz nach dem Workshop in Korea war ich eingeladen, freitags einen Vortrag am RCNP, einem Kernforschungsinstitut in Osaka, zu halten. Ich kannte dort einen Japaner, Shotaro, der einige Monate bei uns in Deutschland in der Gruppe war, und dem ich ein wenig geholfen hatte, sich zurechtzufinden, zum Beispiel mit seinem absurd chaotischen Vermieter. Außerdem hat dort ein befreundeter emeritierter Professor, ebenfalls Japaner, sein Büro. Als ich 2010 in Osaka war, war er so nett, und hatte mich in Osaka ein bisschen herumgeführt. Diesmal hatte ich seinen traditionellen Münchenbesuch verpasst (da ich in Japan war), und als ich ihn nun nach Osaka kam, war leider er so beschäftigt, dass er nur zu einem fünfminütigen Gespräch Zeit hatte.

Zunächst einmal aber galt es, die Anreise zu organisieren. Ich hatte mit Shotaro bereits ausgemacht, dass wir am Samstag, also einen Tag nach dem Vortrag, gemeinsam einen Ausflug nach Kyoto unternehmen würden. Den Aufenthalt in Kyoto, meiner Lieblingsstadt in Japan, wollte ich mit zwei weiteren Dingen verbinden: Einmal mit einem erneuten Besuch bei meinem Stamm-Okonomiyaki-Lokal, und einmal mit einem Treffen mit Iida, der inzwischen ja an die Physik-Fakultät der Universität Kyoto gewechselt war. Von letzterem Vorhaben hatte ich Shotaro bereits einmal kurz informiert. Als ich es dann einige Tage vor meiner Fahrt nach Osaka per Email dann noch einmal, eigentlich  nur der Höflichkeit halber, fragte, ob denn alles okay ginge, wenn bei dem Ausflug auch Iida mitkäme, erhielt ich eine ziemlich überraschende Antwort:

Shotaro schrieb mir, er könne meinem Vorschlag leider nicht zustimmen (in genau diesen Worten), es hätten schon mehrere Freunde zugesagt, und der Ausflug würde zu kompliziert werden, wenn Iida mitkäme. Ich war verwirrt, denn ich konnte mir nicht vorstellen, wo das große Problem liegen sollte, es sei denn, es war ein Ausflug mit dem Auto oder einem Gruppenticket geplant, wodurch die Teilnehmerzahl stark beschränkt wurde. Ich glaube jedenfalls nicht, dass er Iida kannte und eine persönliche Antipathie der Grund war. Ich überlegte eine Weile, ob ich den Ausflug absagen sollte  – unter anderen Umständen hätte ich es wahrscheinlich getan. Davon abgehalten hat mich zweierlei: Erstens war die Planung ja schon recht alt und weit fortgeschritten, und zweitens war ja ich der Gast, der der Führung bedurfte – Iida hatte bestimmt keine Probleme, Kontakte zu knüpfen und sich zurechtzufinden. Zudem hatte ich Iida weder als einen guten Freund vorgestellt, noch empfand ich ihn als solchen – obwohl ich ihn gerne mag.

Als nächstes war mein Anreisezeitpunkt zu klären. Ich hatte mit den Gastgebern ausgemacht, dass ich am Donnerstag anreisen und am Samstag morgen abreisen würde. Obwohl der Tokaido Shinkansen in unter 4h zwischen Osaka und Tokyo verkehrt und Geschäftsreisende regelmäßig Tagesreisen unternehmen, gestand man mir zu, dass es etwas stressig wäre, am Freitag zum Vortrag direkt anzureisen, und danach wieder zurückzufahren. Da ich die großen Sehenswürdigkeiten Osakas, nämlich die Burg und das Aquarium, im Jahr zuvor schon gesehen hatte, suchte ich mir eine andere Attraktion heraus: Bunraku.

Das kann man zwar auch in Tokyo sehen, aber Osaka ist eindeutig die Bunraku-Hauptstadt, denn dort steht auch das Nationale Bunraku Theater. Kurz erklärt ist Bunraku eine darstellende Kunstform, die eine traditionelle Erzählkunst mit Shamisen-Untermalung, den joruri, mit einer Puppenspiel-Darstellung verbindet. Ich kann das jetzt nicht im Detail alles erzählen, und es steht ja auch halbwegs gut in Wikipedia. Am joruri fasziniert mich die Tiefe und Bandbreite der Emotionen, die ein einzelner Erzähler/Singer darstellen kann, und ich höre auch gerne Shamisen-Klänge. Fast hätte ich mir ein paar CDs oder sogar DVDs gekauft, aber die waren leider (natürlich) alle recht teuer, und ich wollte nicht mit dem Zoll in Schwierigkeiten kommen. Die Musik-Ästhetik ist natürlich in Japan eine ganz andere, und das bezieht sich auch auf Klänge: Die Stimme des Tayu (des Rezitators) ist oft brüchig und rau, also alles andere als eine klassisch-europäische „schöne“ Stimme. Aber gerade solche Dinge sprechen das japanische Schönheitsempfinden an, das Prinzip dabei (sofern man eines finden kann) wird „wabi-sabi“ genannt.

Bunraku ist recht traditionell, die meisten Japaner, mit denen ich gesprochen habe, waren ziemlich überrascht von meinen Besuchen und erklärten, sie hätten Bunraku höchstens mal im TV gesehen. Der befreundete ältere japanische Professor, der mich 2010 durch Osaka geführt hat, sah Bunraku zum ersten Mal zusammen mit mir und seiner Frau bei einer Kurzvorstellung in München, als er zufällig gerade bei uns zu Gast war und die Truppe aus Osaka einer Einladung der Deutsch-Japanischen Gesellschaft gefolgt war.

Von der Art her ist Bunraku, ähnlich wie Kabuki, eher mit unserer Oper zu vergleichen als mit Marionettentheater oder ähnlichem. Als Westler machte ich Gebrauch von meiner Narrenfreiheit und kam einfach in dunkler Kleidung, da ich nicht extra einen Anzug nach Osaka bringen wollte. Es kommen aber durchaus Damen in ihren teuren Kimonos dorthin, und nehmen dann zum Beispiel einen nach (soweit ich das beurteilen kann) Teezeremonie-Methode aufgegossenen Tee ein:

Links im Bild sieht man ein „Bäumchen“ mit weißen und rosa Kügelchen. Da es ja noch Mitte November war, und die Blüten des Winters traditionellerweise Pflaumenblüten sind, fragte ich eine Platzanweiserin, ob es sich dabei um Pflaumenblüten handeln sollte? Nein, das sei sakura – Kirschblüte. Warum im Winter? Ach, man habe schon genug vom Winter und wünsche sich jetzt den Frühling herbei, dessen Blüte natürlich die sakura ist. So ganz schlau bin ich daraus nicht geworden – bleibt die Dekoration dann über 4 Monate so, bis zur echten Kirschblüte? Tatsächlich hat mich die Deko etwas gestört, weil ich sie mitten im November einfach als unpassend empfand. Aber die Japaner lieben einfach ihre Kirschblüte, und in außerordentlich vielen Stücken (Bunraku und Kabuki) die ich gesehen habe, kam jeweils eine Kirschblütenszene vor.

Einen solchen Spezial-macha hatte ich nicht, aber ich meldete mich für ein Essen im Restaurant während der Pause an. Wie die Kabuki-Stücke auch dauern die Bunraku-Stücke sehr sehr lange, so dass an einem Vorstellungstermin eigentlich immer nur Ausschnitte mit einigen als besonders gut geltenden Szenen aus ein bis drei Stücken gezeigt werden. Üblicherweise dauert so ein Vorstellungstermin dann etwa vier Stunden, dabei sind meist zwei kurze Pause von 15 Minuten (für Snacks, Getränke und WC) und eine längere Pause von 20-30 Minuten fürs Essen eingeplant. Und irgendetwas muss man ja essen, in all der Zeit.

Das, ich glaube, zweitteuerste Menü für die längere Pause kam in auf einem zweistöckigen Tablett:

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In der Mitte natürlich Reis in dem abgedeckten Schälchen. Darüber ist etwas Sashimi zu sehen, links verschiedene gekochte Gemüse – keine Ahnung was dieses weiße vieleckige Etwas war. Schmeckte wässrig, aber nicht matschig – wahrscheinlich irgendeine Wurzel. Auch das links daneben liegende… Gebäck (?) war durchweicht und merkwürdig, aber deswegen nicht schlecht. Rechts neben der Erdbeere etwas süßes Mus auf einem süßen Gelee.

Darunter:

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Rechts Tofu mit etwas Wasabi. Unten Renkon (Lotuswurzel), gewürzt mit Seetang. Oben eine (!) Bohne und zwei Bällchen fritierten Fischfleisches (ähnlich wie das hier erhältliche Surimi). Im linken Fach rechts eine japanische Pflaume (matschig und sauer-salzig), oben etwas Ei, Süßwassergarnelen und eine Art Aspik mit japanischen Pilzen.

Ich hatte allerdings kaum Zeit, alles zu essen, bis es schon wieder weiterging … aber für den authentischen Genuss des Bunraku muss man, glaube ich, dort wirklich auch etwas essen.

Vom Bunraku selbst habe ich leider keine Fotos, aber wen es interessiert, dem erzähle ich gerne mehr, ich habe auch immer die Prospekte dazu aufgehoben.

 

Ein paar Stunden hatte ich danach ja noch in Seoul. Da war also noch Zeit, sich auf den Märkten etwas umzusehen. Weil mein billiger FILA-Rucksack voller Löcher war und drohte, auseinanderzufallen, hatte ich diesmal also sogar ein Ziel. Es stellte sich heraus, dass man eine ziemlich gute Verhandlungsposition hat, wenn man tatsächlich nur sehr wenig Geld dabei hat. Ich musste ja nach einige Won für das Abendessen und die Fahrt zum Flughafen beiseitelegen, konnte also recht überzeugend vermitteln dass ich nicht in der Lage war, viel für den Rucksack auszugeben. Ich machte also so lange verschiedene schmerzverzerrte Gesichter, bis ich einen vernünftig großen für unter 20 Euro bekam. Mal sehen, wie lang der hält, bis jetzt ist damit jedenfalls alles in Ordnung. Nach dem Kauf hatte ich noch 40,000 Won, also so um die 25 Euro, was für ein Essen und den Bus gereicht hätte.

Auf dem Markt dort kaufte ich dann allerdings auch gleich noch ein paar Schachteln einer koreanischen Süßigkeit, die ich bei dem Herumschlendern mit Fujii entdeckt hatte. Weil die Herstellung kaum zu glauben ist, wenn man es nur erzählt bekommt, hab ich ein Video gedreht. Leider mache ich darauf einen idiotischen Japanisch-Fehler, also bitte nicht auf mein dämliches Gerede (oder mein nerviges „ich will meine Stimme nicht mehr als nötig auf diesem Video haben“-Gegluckse) achten, sondern nur der Erklärung des … Zuckerbäckers? … lauschen:

VIDEO

Die Schachteln hab ich diversen Gruppen in Japan mitgebracht, die das alle nicht kannten, und auch recht interessiert waren. So begeistert wie ich waren sie allerdings nicht, was vielleicht auch daran liegt, dass die Exemplare in den Schachteln schon etwas trockener geworden waren, und eher eine härtere, klumpige Konsistenz angenommen hatten, statt der wunderbar fluffigen, als sie ganz frisch waren. Jedenfalls musste ich dann erstmal wieder einen Bankautomaten suchen, der meine Kreditkarte annahm.

Besonders beliebt ist dort unter den Käufern anscheinend Ginseng, was übersetzt wohl nur etwas wie „rote Wurzel“, und damit soviel wie „Rote Rübe“, also „Karotte“ bedeutet. Jedenfalls reden die Japaner oft von „Korean carrot“, was ich anfangs gar nicht verstanden habe. Am interessantesten sieht er aus, wenn er eingelegt ist – ich vermute einfach mal wagemutig, dass es sich beim Folgenden um trinkbaren Alkohol handelt:

Wäre aber schade, wenn man das nicht trinken könnte… Der rote-Karotte-Ginseng ist auch ziemlich häufig vertreten in Souvernirshops am Flughafen und beliebt als Mitbringsel. Im Kaffeeraum der Uni Tokyo stand eine Schachtel mit einem Pulvertee dieses Geschmacks, der sich allerdings nicht großer Beliebtheit erfreute. Weil ich Geld übrig hatte, nahm ich auch noch eine Packung Ginseng-Gelee-Süßwaren mit, die aber weder ich, noch die meisten anderen besonders gut fanden. Dieser Gingseng-Geschmack ist einfach gewöhnungsbedürftig…

Es gab auch (mal wieder) ein paar lustige Schilder, wie zum Beispiel das hier:

„Können Sie uns erklären, Mr. Smith, warum Ihrer Meinung nach die kleine Tiffany das verdient hat?“- „Naja, sie hat darum gebeten!“

Welch eine Erleichterung, dass der Schneckenschleim in diesem Schönheitsprodukt aus einheimischen Schnecken stammt. Allerdings ist das Plakat japanisch, also vermutlich ist damit japanischer Schleckenschleim gemeint, nicht koreanischer. Man will ja gar nicht drüber nachdenken, was da sonst manchmal für ausländischer Billigschleim reingepanscht wird. Und gerade bei der guten Schnecken-Creme, die zu 80% aus Schneckenschleim besteht, will man an der Schneckenschleimqualität nicht schleimen, ääh, speicheln…na! Ich meine: sparen.

Ein paar hundert Meter weiter war ein berühmtes Wahrzeichen Seouls, eine riesige Rekonstruktion eines ehemaligen Stadttores – allerdings, als ich dort war, eher eine Dekonstruktion – völlig umwoben von Planen, teilweise auch abgebaut – Renovierung, leider.

Blieben nur noch zwei Dinge zu tun: Abendessen, und den Weg zum Flughafen zu finden. Für das Abendessen gedachte ich, wieder zum Lokal des zweiten Abends zu gehen, aber als ich dort ankam, war nicht nur jenes Restaurant zu, sondern noch fast das ganze Viertel – es war auch erst 16:00 etwa. Also suchte ich  mir das erste beste Lokal, das Kohlegrills hatte und offen war. Wie immer war Englisch zwecklos, also war wieder Gestensprache gefragt. Nachdem ich einen Tisch ausgesucht hatte, erkundigte sich die Kellnerin, vielleicht so um die 40 Jahre alt, was ich wolle. Ich deutete auf ein Schild mit Fleisch für den Grill mit akzeptablem Preis und fragte „Kalbi?“ Soviel zumindest weiß ich, dass das eine Art von Fleisch für den Grill ist. Nach einer Weile hin und her, bis sie verstanden hatte, dass ich einfach nur irgendwas wollte, zog sie eine Grimasse und rief etwas in die Küche. Daraufhin streckte eine mürrisch dreinschauende ältere Frau den Kopf in den Gastraum hinein, musterte  mich abschätzig, schimpfte etwas und blaffte, dass es für eine Person keinen Grill gebe! Bei der Übersetzung half diesmal ein einzelner, emporgereckter Finger. Den schüttelte sie mir ein paarmal entgegen, und fuchtelte dann in einer sehr bestimmten nein-nein-Geste damit herum – dann verschwand sie wieder.

Glücklicherweise gibt es ein gutes Gegenmittel gegen unfreundliche Kellner und Lokalbesitzer, besonders in einem Land mit günstigem Wechselkurs – Geld! Also machte ich der Kellnerin klar, dass ich ganz einfach Essen für 2 Leute bestellen würde, ob das denn möglich wäre? Sie rief etwas, die Alte erschien wieder, der Alte wurde der Sachverhalt erklärt – und ihre Hoheit die Königin-Mutter stimmte gnädig zu, dass ich mein Geld dort ausgeben durfte. Es war dann nicht so gut wie da, wo ich eigentlich hin gewollte hatte, aber trotzdem ganz ordentlich:

Natürlich hab ich das nicht alles gegessen, aber ich hab mich bemüht. Gekostet hat es etwa 18 Euro oder so, inklusive der „zweiten Person“.

Nach dem Essen hatte ich noch ziemlich viel Zeit, was sich als günstig herausstellte, da ich keine Ahnung hatte, wo der Bus zum Flughafen genau abfuhr. Jedenfalls nicht dort, wo er gehalten hatte, und auch nirgends in der Nähe. Jemanden zu fragen, schloss ich aus, nach meinen bisherigen Erfahrungen mit Englisch, und insbesondere mit Auskünften… also fuhr ich zum Seoul Hauptbahnhof und versuchte diesmal den Zug. Wie vieles am Seoul-Verkehrssystem war das ganze ziemlich gut durchdacht, ich konnte am Bahnhof in 10 Minuten sozusagen in das Flugzeug einchecken, weil das ja klar ist, weil in Seoul viele Linien zusammenlaufen. In 10 Minuten! War ich eingecheckt, und weil der Zug in weniger als einer Minute abfahren sollte, telefonierte die Dame dort freundlicherweise ans Gleis, wo man anscheinend tatsächlich den Zug aufhielt, bis ich mit dem Lift dort unten angekommen war. Damit war ich dann auch schon so gut wie am Flughafen. Wenn ich Gepäck gehabt hätte, hätte ich auch das schon am Zugterminal aufgeben können, und die hätten es dann mit dem Zug hingefahren – ziemlich effizient und klug gemacht, das Ganze. Und obwohl das so bequem ist, gibt es sogar noch einen Abschlag auf das Zugticket dafür, dass man diesen Service nutzt. Also da hätte der Stoiber sich mal den Flughafen Incheon anschauen sollen statt Hihs- äh, Hihsroh, da war das nämlich genau so, wie er sich das gewünscht hätte. Und eigentlich wünsche ich es mir jetzt so auch für uns…

Mit dem Flug lief soweit alles gut, an kam ich interessanterweise am Flughafen Tokyo-Haneda (ich war von Tokyo-Narita abgeflogen), was den Flug etwas billiger gemacht hatte. Von dort musste man dann noch mit einer Lokalzuglinie nach Shinagawa fahren, von dort mit der Yamanote-Linie nach Ikebukuro, wo ich erst gegen 12 Uhr nachts ankam. Weil die wenigen Leute, die noch unterwegs waren, sich alle sehr beeilten, find ich auch an, zu rennen – und tatsächlich erwischte ich den letzten Zug, der von Ikebukuro noch Richtung meines Wohnorts abfuhr, gerade noch so. Allerdings stellte sich dann heraus, dass der letzte Zug nicht mehr bis Wako-shi fährt, wo ich hin musste, sondern nur bis Narimasu, die Station davor.

Da stand ich dann plötzlich. Bis dahin war ich noch nie dort gewesen, also hatte ich  keine Ahnung, wie ich von da nach Hause kommen konnte, obwohl es theoretisch nicht viel weiter ist als von meiner Wohnung zum Bahnhof Wako-shi. Blieb nichts anderes übrig als sich brav in die etwa 15 Leute lange Schlange vor dem Taxistand am Bahnhof zu stellen. Dem jungen Taxifahrer gab ich dann ungefähr durch, wo ich hin musste, wobei er nicht viel von dem kannte, was ich nannte – dass er das RIKEN nicht kannte, will ich nicht so recht glauben, also muss er mich wohl nicht verstanden haben. Naja, trotz einmal Verfahren lief es eigentlich ganz gut, wir waren auf dem richtigen Weg, ich wollte gleich rausgelassen werden. Ich hatte ihm zuvor schon gesagt, oder geglaubt gesagt zu haben, dass er nach der Ampel gleich links soll. Allerdings war ich mir nicht ganz sicher, ob es die erste Ausfahrt gleich war, oder ob davor noch was war, also war ich leider sehr vage – statt dass ich Depp einfach gesagt hätte, er soll an der 50 m vor der Ausfahrt gelegenen Tankstelle halten! Naja, also, die Ausfahrt kam, er wurde nicht langsamer, er fuhr vorbei…

Ich wollte ihm klarmachen, dass wir vorbei sind, und sagte, der Ort, an den ich wolle, läge „saki“. Jetzt heißt „saki hodo“ soviel wie „vor Kurzem“, wobei das „hodo“ die Zeitangabe vage macht. Was mir allerdings zu dem Zeitpunkt nicht klar war, war, dass „saki“ im zeitlichen Sinne hinter einem liegt, im räumlichen Sinne aber VOR einem. Also während ich ihm mit zunehmender Verzweiflung immer wieder sagte: „Äh.. saki …. es ist saki…. saki….“ hörte er immer „ein bisschen weiter… gleich … noch ein bisschen weiter!“ Schließlich fiel mir dann das Wort für „hinter“ ein, worauf er dann sehr schnell anhielt und sehr peinlich berührt war – so sehr, dass er mir ein paar hundert Yen vom Fahrpreis erlassen hat. Ich musste dann also doch noch zwei- oder dreihundert Meter laufen, bis ich dann endlich, endlich daheim war.

Nach  erholsamem Schlaf in meinem Palast-Zimmer und muntermachender Dusche mit Regenwaldregen hatte ich noch einen ganzen Tag zur Verfügung in Seoul, da mein Flug erst spät abends um 22 Uhr startete. Ich wollte noch etwas Spirituelles sehen, also machte ich mich auf zu einem heiligen Berg, der schamanistische Schreine (also so eine Art Entsprechung zum japanischen Shinto-Schrein) beherbergte. Von der Ubahn-Station aus musste man durch ein neues Wohngebiet, das überhaupt nicht danach aussah, als würde man nach der Durchquerung an einem uralten heiligen Schreinberg ankommen. Allerdings war der Weg halbwegs gut ausgeschildert, zwar nicht an jeder Kreuzung, aber doch so, dass  man nach etwas Suchen immer ein Schild fand. Man musste allerdings manchmal die koreanischen Zeichen lesen können… soviel hatte ich zum Glück schon aufgeschnappt, dass ich „Inwang-san“ lesen konnte.

Das Wetter war gut, und von oben hatte man einen hübschen Ausblick auf Seoul:

Der Führer war leider auch hier etwas vage, es war die Rede von einer Karte, die man oben auf dem Berg, beim ersten Tor der Tempelanlage finden solle – da war aber keine Karte zu sehen, und die Häuser dort sahen im Wesentlichen alle wie normale Wohnhäuser aus. Ich benutzte erstmal eine Toilette, für die man einen kleinen Pfad einige Meter nach oben steigen musste, und als ich das Häuschen wieder verließ, stieg ein Westler zu mir hoch und fragte mich auf Englisch, ob es dort zum Tempel gehe. Ich verneinte und äußerte einige Theorien, wo denn der Weg verlaufen könnte, und lief voran. Im Prinzip hätte ich dem Mann vorschlagen können, gemeinsam zu laufen, ich hatte aber auf Gesellschaft wenig Lust und die Befürchtung, dass es ein Deutscher war – und ich hatte schon gar keine Lust auf großes Austauschen von ja-wie-sind-SIE-denn-hier-gelandet-Geschichten. Es ergab sich also die etwas merkwürdige Situation, dass er mir im Abstand von etwa 10-20 Metern brav folgte, wir aber technisch gesehen zwei unterschiedliche, einpersönliche Wandergruppen darstellten.

Die Schreinanlagen waren relativ klein im Vergleich zu ähnlichen in Japan, und wenn man bedenkt, wie groß Seoul ist, was aber unter anderem daran liegt, dass während des Krieges die Japaner viele Heiligtümer verbrannten, und dass nicht alles gerettet werden konnte. Ursprünglich stand auch einer der Schreine auf einem anderen Berg, wurde dann aber dort wieder aufgebaut, weil der Berg schon ein anderes Heiligtum beinhaltete. So sahen die beiden aus:

Weiter oben gab es dann unterschiedliche Sehenswürdigkeiten, etwa mysteriöse Steinformationen, in die Wände gemeißelte Buddhas, und so weiter. Mein Führer gab halbwegs brauchbare Informationen, so dass ich zumindest zu dem Freilicht-Fitnessbereich fand, wo einfach  mal so dort oben wetterfeste Fitnessgeräte aufgebaut waren, bei denen das eigene Körpergewicht als Widerstand diente. Obwohl, westlichem Empfinden nach, auf einem Heiligen Berg irgendwie unpassend, eigentlich eine ganze nette Idee, die Geräte schien nur niemand zu benutzen, obwohl ich an einem Wochenende mit sonnigem Wetter dort war. Bei einer besonders beeindruckenden Gesteinsformation, um die der Sage nach ein Streit zwischen zwei Gelehrten entbrannte darum, ob sie inner- oder außerhalb der neuen Stadtmauer zu liegen kommen sollte, hatte ich ein lustiges Erlebnis:

Ein kleiner, koreanisch aussehender Junge kam auf  mich zu und rief „Hello!“ Ich antwortete freundlich „hi“, und wollte weiter, aber er sagte nochmal „hello!“, und fing dann plötzlich an, eine Konversation in perfektem amerikanischen Englisch mit mir zu führen. Während er so drauflosplauderte, mir erzählte dass er demnächst sehr schwere Prüfungen hätte, sein Name Gregory sei, mich fragte, wie ich heiße, und dass das ja ein sehr merkwürdiger Name sei, und mich insgesamt sehr an mich selbst in dem Alter erinnerte, kamen wir auch kurz darauf, dass ich aus Deutschland war. Der vermeintliche Auch-Deutsche, der inzwischen zu uns aufgeschlossen war, sagte dazu nichts, ich bildete mir aber ein, ihn lächeln zu sehen. Zwei koreanische Damen, die halt gemacht und die Konversation ein Weilchen verfolgt hatten – verständnislos, dachte ich – mischten sich da auf einmal ein. Die eine erzählte dem Jungen auf koreanisch in sehr herablassend-tantenhaftem Ton, wie gut er doch Englisch spreche (der Tonfall übersetzte mir die Worte glasklar), die andere sprach mich plötzlich auf Deutsch an! Nicht direkt fließend, aber überraschend gut. Wir hatten also eine Konversation auf Koreanisch laufen, während der Junge aber lieber mit mir auf Englisch sprach, und ich mich derweil auf Deutsch mit einer Koreanerin unterhielt, während ein vermuteter weiterer Deutscher stumm zusah, und das alles unter diesen merkwürdigen Felsformen. In dem Moment hatte ich schon das Gefühl, dass irgendetwas Mystisches in dem Ort lag. Überraschenderweise sind auch meine Fotos von dort verschwunden – dabei bin ich mir sicher, dass ich mehrere gemacht habe…

Ich folgte weiter dem Pfad, während der Junge mit seiner still und stolz folgenden Mutter einen anderen Weg nahm, weiter nach oben. An besonders interessanten Stellen, an denen man verstehen konnte, dass Menschen hier eine Verbindung mit einer Gottheit erspüren wollten, fanden sich Spuren von Benutzung, die auf den ersten Blick respektlos erschienen – aber es ist ja nicht das erste Mal, dass man solche Geschichten hört, der Respekt wird da eben anders übermittelt. Jedenfalls gab es da alte dreckige Matten, auf denen wohl jemand schlief, abgebrennte Kerzenstummel, manchmal eine leere Flasche. Weiter oben sollte laut meinem Führer irgendwann ein Weg nach rechts rüber führen, zu einer Rekonstruktion der alten Stadtmauer, die ich gerne gesehen hätte. Irgendwann war der Pfad aber einfach weg, oder ich war zu blind, ihn zu erkennen. Ich fühlte mich aber ohnehin kurioserweise schon, als würde ich in dessen Abwesenheit durch jemandes unaufgeräumtes Wohnzimmer laufen, insofern war mir eigentlich der Grund recht, umzukehren.

Also ging ich ein Stückchen zurück, bis ich anderen schmalen Pfad fand, den ich vorher übergangen hatte, der aber in die gewünschte Richtung führte. Nach etwa zwanzig Metern führte er an einer winzigen Hütte aus Karton und dünnen Platten und Planen vorbei, vielleicht 2×2  m groß. Schon etwas unsicher, verlangsamte ich meine Schritte, und tatsächlich steckte eine Frau den Kopf heraus und erzählte mir recht schroff auf koreanisch, dass ich hier nicht rumzulaufen hätte, dieser Pfad sei privat, und ich solle mich verziehen. Auch hier war der Tonfall genug, um die Dame hervorragend zu verstehen. Damit beließ ich es dann mit der Exkursion der höheren Sphären des Berges. Offensichtlich lebte da eine besondere Gemeinschaft, halb Obdachlose, halb Schamanen – oder ganz Beides? Jedenfalls ungefähr die Art von Figur, der  man in Horrorfilmen nicht auf die Zehen treten sollte, weil sie den einen oder anderen Fluch in petto hat. Wenn mir denn die Hüttenhexe nicht ohnehin schon einen nachgeworfen hatte…

Bei den Fitnessgeräten setzte ich mich auf eine Bank, genoss die Sonne, und fing an, ein Weilchen zu lesen, als oben tatsächlich ein Schamane zu singen begann. Ich hoffe, er hat nicht nur gewartet bis ich aus seiner „Wohnung“ verschwunden bin. Im Führer war von „schauerlichen Gesängen“ die Rede, für mich klang es nicht furchteinflößend, nur interessant, und es rundete meinen Eindruck des „heiligen Berges“ sehr passend ab. Auf dieser spirituell, interessierten Webseite finden sich schöne Fotos vom Berg, insbesondere sehr beeindruckende von der merkwürdigen, anti-babylonisch sprachaufklärenden Gesteinsformation, Seong-bawi, anscheinend einer der weltweit meistverehrten schamanistischen Natur-Altare. Wundern tut mich das gar nicht…

Nach Nanta musste ich dann auf Hotelsuche gehen. Gebucht hatte ich ja eines, das galt es nun zu finden. Ich hatte das über http://www.expedia.de organisiert, wo es eines der wenige bezahlbaren Hotels war, das für die Nacht noch etwas frei hatte. Bei  meinem vorherigen Hotel, dem Hotel Central, war der Haken ja die allgemeine Schmuddeligkeit des Hotels gewesen, im Ausgleich für den günstigen Preis und die hervorragende Lage. Hier war es die Tatsache, dass keine günstige Ubahnstation wirklich in der Nähe war.

Ich lief also vom Rathausplatz dort in die Gegend, was aber ganz nett war, da dort ein Haufen sehr moderner und mutig gestalteter Wolkenkratzer zu bestaunen ist. Auf dem Weg passierte ich eine Untergrund-Markthalle, deren Geschäfte allerdings schon weitgehend geschlossen hatten. Solche Märkte scheinen in Seoul recht beliebt zu sein. Im Gebiet mit meinem Hotel angekommen, hatte ich dann wieder ein ähnliches Problem wie am Nachmittag: auf der Karte in meinem Führer, und auch auf meiner Gratis-Touristenkarte waren jeweils nur 2 oder 3 große Straßen für das ganze Viertel eingetragen, es war aber ein altes Wohngebiet mit vielen kleinen Gassen, überall waren winzige Lokale und Läden. Ich stapfte also, inzwischen recht ungeduldig, weil hungrig und verschwitzt und etwas Entspannung bedürftig, hin und her, immer dorthin, wo ich dachte, die Straße  könnte die in meiner Karte sein. Um mich herum waren auch viele Hotels, die aber alle nicht abgebildet waren – vermutlich  hätten die dafür einen guten Batzen Geldes hinlegen müssen. Das ist verständlich, aber erschwerte die Orientierung dann doch ungemein, anhand der Hotels hätte ich mich bestimmt schnell zurechtgefunden.

Als ich irgendwann zum vierten Mal (hin –  her – hin – her) an zwei Männern vorbeilief, die es sich an einem Tisch vor dem Haus bequem gemacht hattten, wurde es mir zu doof, und ich lief zur nächsten Ubahnstation. Die hatte ich nicht nehmen können, weil sie zu einer recht abseits gelegenen Linie gehörte, aber an den Stationen gab es immer Karten mit der Umgebung, wo der Aufenthaltsort genau eingetragen war – also das was ich brauchte. Von so einer Karte machte ich dann ein Foto (ein alter Trick aus meinem Japan-Urlaub 2010)  und so fand ich dann mein Hotel.

Wo und wie ich denn gebucht hätte, wollte die Dame an der Rezeption wissen, und tat, als wisse sie von nichts. Immerhin sprach sie gutes Englisch, und auch vernünftiges Japanisch. Ein ungutes Gefühl bewusst verdrängend, erklärte ich ihr nochmal, wo und wann und wie ich genau gebucht hatte. Sie blätterte in einem Büchlein und sagte dann irgendetwas davon, dass irgendeine Buchung zu viel sei, und ich erhalte ein „upgrade“. Nach der Odyssee – erst auf der Suche nach Nanta, dann nach dem Hotel – war mir alles recht, und ich stolperte müde in mein Zimmer und dort stutzte ich dann erst einmal: man hatte mir wohl so etwas wie die Flitterwochen-Suite gegeben!

Hier ein paar Bilder. Zunächst mal die Ecke mit meinen Betten, davor die urgemütliche Chaiselonge … darauf zu liegen machte ziemlich Lust, sich selbst so ein Ding anzuschaffen. Wirklich perfekt geformt um zu lesen oder fernzusehen.

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Fernsehen ging dort auch deswegen gut, weil ich an der Wand einen gigantischen Flachbildfernseher vorfand: In der Kommode darunter war ein Computer eingebaut, der an den Fernseher angeschlossen war. Leider war die Maschine ziemlich alt und lahm. Für Starcraft 1 hätte es wahrscheinlich gereicht, aber mit den Starcraft 2 Livestreams tat sich das Großväterchen dann doch etwas schwer. Zum Glück waren ja alle Kabel vorhanden, um meinen Laptop dort anzuschließen – fertig war die ideale Starcraft-Kino-Atmosphäre!

Links daneben war ein Kühlschrank mit Wasser, das im Preis inbegriffen war. Das Gerät in der Ecke ist ein Ultraschall-Sterilisator für Gläser.

Das Beste war dann, mit einigem Abstand, das Bad. Neben einer normalen Dusche – mit optionalem Regenwaldregenduschkopf – war dort dieses Prachtstück zu finden: mein eigener Whirlpool!

Erstmal hatte ich Hunger, holte mir also in einem der kleinen Restaurant in der Nähe schnell etwas Gegrilltes, die üblichen Salate, Soßen und Kimchi-Beilagen nicht mit abgebildet:

Als ich heimkam, war ich dann schon sehr sehr müde nach diesem ereignisreichen Tag, aber obwohl ich fast am Wegkippen war, wollte ich mir doch das Bad in meinem Whirlpool nicht entgehen lassen. Danach hab ich dann aber wirklich wie ein Murmeltier geschlafen.

Diese Story ist etwas kompliziert. Darum habe ich eine Karte erstellt, so dass sie für alle Leser hoffentlich ebenso kompliziert ist. Hier ist die Karte; auf der linken Seite kann man die verschiedenen Orte aufgelistet sehen, falls man sie auf der Karte nicht gleich findet. Es ist ganz wichtig, im Kopf zu behalten, dass ich keine so gute Karte dabei hatte. Die Karten in meinem Führer zeigten nur die touristischen Gegenden im Detail; die, die ich von dieser Gegend hatte, war sehr ungenau, also bei weitem nicht so gut wie die von Google Maps. Die Originalkarte hinter dem obigen Link ist besser, aber ich klebe hier nochmal ein Bild davon rein, so dass man nicht immer hin- und her klicken muss.

Das Ziel, Nanta, ist mit einem kleinen Vulkan markiert. Los ging die verwirrende Reise mit der Ankunft im U-Bahnhof „Rathaus“. Mein Führer sagte, ich solle Ausgang 1 nehmen und mich dann an der Schlosswand halten, oder so ähnlich. Der U-Bahnhof ist rechts unten der kleine blaue Kreis mit dem Zugsymbol gleich bei dem gelben Häuschen. Leider ging es gleich los damit, dass gerade dieser Ausgang gesperrt war, so dass ich einen anderen nehmen musste. Ich hatte etwa eine halbe Stunde gerechnet vom Ubahnhof zu Nanta, wobei noch ein Puffer eingeplant war. Den schöpfte ich jetzt zum Teil bereits aus, als ich überirdisch vom nächsten Ausgang zurück zu Ausgang 1 lief, an einem Palasttor (gelbes Häuschen) vorbei, wo irgendeine Zeremonie mit prächtigen Uniformen stattfand, möglicherweise eine Art Wachwechsel. Hätte ich mehr Zeit gehabt, wäre ich geblieben, ich musste ja aber weiter, viel Zeit war nicht mehr.

Von dort zur „verwirrenden Kreuzung“, der blauen Reißzwecke, war es soweit noch einfach, ich musste nur entsprechend den Anweisungen der steinernen Palastmauer folgen. Dort fand allerdings gerade das Seoul Coffee Festival statt, die Straße an der Mauer war mit Ständen gesäumt, vor denen sich Menschengrüppchen sammelten und die Fortbewegung behinderten. Es roch lecker nach Kaffee, und manche Stände sahen auch interessant aus (wobei die meisten nur Maschinen zum Kauf anboten und Probierbecher reichten), aber für mich war es eher ein Ärgernis, da es mich weitere Zeit kostete.

An der blauen Reißzwecke, der „verwirrenden Kreuzung“, machte ich dann den großen Fehler. In meinem Führer war die Straße genannt, der ich folgen sollte, und dort an der Kreuzung entdeckte ich  ein Schild mit diesem Namen, auf die Straße zeigend, die weiter an der Schlossmauer entlangführte. Das war aber die Straße, die in Richtung grüner Ballon führte, statt in Richtung lila Ballon und Nanta. Im Nachhinein vermute ich, dass die ganze Gegend dort so hieß (aber dann hätte das so präzise Schild wohl wenig Sinn gehabt), oder aber, dass dem Namen noch irgendwas angehängt war, das die Bedeutung veränderte. In den Tagen zuvor hatte ich ja festgestellt, dass die Karten aus dem Führer eher vage waren und Informationen von  Straßenschildern und der direkten Umgebung vorzuziehen waren. Meine Karte zeigte auch die „verwirrende Kreuzung“ keineswegs so deutlich an, sondern nur als eine Kreuzung unter vielen.

Ich folgte also dem Schild, in der Annahme, dass die Kreuzung, wo ich mich befand, irgendeine andere war, und dass ich erst später von der Schlossmauer abweichen musste. Die Gasse schlängelte sich zwischen hohen Wänden auf beiden Seiten, links passierte ich ein von 2 mit Maschinenpistolen bewaffneten Polizisten bewachtes Tor – war das… richtig, ein Schild sagte, es handele sich um Haus Soundso, Amerikanische Botschaft in Südkorea (grüner Ballon). Etwas weiter löste sich dann die Straße, auf der ich lief, von der rechten Mauer, so wie es ja auch sein sollte – aber wie gesagt hätte das schon bei der blauen Reißzwecke passieren sollen. Auf der rechten Seite kamen dann ein paar Gebäude, die mit „Hauptquartier Heilsarmee“ beschriftet waren. Etwas weiter kam ich dann an die rosa Reißzwecke, und da stand ich dann etwas ratlos. Die Gegend sah nicht wirklich nach einer Gegend mit einem Musical-Theater aus, da waren Wohnhäuser, kleine Bezahl-Parkplätze, und dann diese große Hauptstraße. Zumindest so weit traute ich meiner Karte, dass zwischen mir und Nanta eigentlich keine querende Hauptstraße liegen sollte.

Also tat ich, was ich in Japan an der Stelle getan hätte, einfach einen Passanten fragen. Das Problem war, dass der Mann, den ich mir aussuchte, fast völlig unverständliches Englisch daherstammelte, ohne sich dessen allerdings bewusst zu sein. Er wiederholte immer wieder das Gleiche, hörte aber nicht auf zu reden. Ich hatte, als ich dort stand, noch etwa 5-10 Minuten bis zum Beginn von Nanta, und hatte noch die Hoffnung, dass sie nicht sofort pünktlich anfangen würden. Aber der Mann, der nach eigener Aussage Nanta nicht kannte, ließ sich von meinen „ah, ja, danke, dann versuch ich das mal. danke ! danke!! okay, danke!!!“ nicht beirrten und faselte immer weiter. Immer wieder erwähnte er die „Canada Embassy“, also die Kanadische Botschaft, und zog weite Kreise auf meiner Karte. Ich zeigte ihm dort, dass die kanadische Botschaft bei dem Blauen Ballon mit Punkt, rechts oben, eingetragen war, also recht weit weg von Nanta. Dazu nahm er überhaupt keine Stellung. Ich hätte ja gerne jemand anderen gefragt, war aber dann doch zu höflich, einfach mitten in seinem Redefluss abzuhauen. Was er mit der kanadischen Botschaft da oben wollte, war mir absolut nicht klar.

Inzwischen war es dann 16:00, und ich hatte keine Ahnung, wo ich war und wo ich hin musste, also setzte jene Art von Ruhe ein, die man empfindet, wenn man einen Termin mit hundertprozentiger Sicherheit bereits verpasst hat. Plötzlich ist man von einem „ich habe nur noch wenige Sekunden“- Moment extremer Hektik zu einem „jetzt habe ich alle Zeit der Welt“-Moment großer Entspannung gewechselt. So beruhigt, ging ich ein paar Meter zurück und setzte mich auf eine Bank vor der Heilsarmee. Ich holte die Karte heraus, dazu noch eine weitere, leider auch nicht allzu detaillierte Gratis-Karte die ich irgendwo eingesteckt hatte, und versuchte herauszufinden, wo zur Hölle ich mich befand. Plötzlich entdeckte ich auf der Karte „Hauptquartier Heilsarmee“ – allerdings nicht bei dem blauen Ballon, wo ich mich befand, sondern beim blauen Ballon mit Punkt – nördlich von hier.

Langsam kam ich mir auf den Arm genommen vor. Das Gebäude hinter mir war deutlich mit „Headquarters Salvation Army“ – Hauptquartier Heilsarmee – gekennzeichnet. Man konnte doch nicht mehrere, verschiedene Hauptquartiere in der gleichen Stadt haben? Dann suchte ich die Amerikanische Botschaft, die musste ja schließlich eindeutig sein. Auch diese fand ich nicht dort, wo ich sie erwartete (grüner Ballon), sondern  östlich von hier (grüner Ballon mit Punkt) – an der Straße, an der die U-Bahn-Station gelegen hatte. Jetzt war ich so verwirrt wie schon sehr sehr lange nicht. Wann hat man schon ein Erlebnis, wo Landkarten, denen man doch im Großen und Ganzen vertraut, einem eine völlige andere Geschichte erzählen, als man sie um sich sieht? Ich hätte ja verstanden, wenn ich hier falsch war. Aber die Heilsarmee und die amerikanische Botschaft auf der Karte waren auch relativ zueinander völlig anders gelegen als ich es hier vor mir sah. Mir schwamm der Kopf, ich saß da auf der Bank und verstand gar nichts mehr.

Dabei hatte mir doch zwei Tage vorher der koreanische Chefprofessor noch geschmeichelt, indem er sagte, Deutsche wären hervorragende Kartenleser und würden sich mit einer Karte in Korea viel besser auskennen als er. Ich wusste nicht so recht, was ich mit damit anfangen sollte, aber auch der den Workshop organisierende Doktorand bekannte sich überrascht, dass ich ihn nicht nach Informationen zur Anfahrt an die Uni ersucht hatte. Ich weiß nicht was der erwartet hat, dass die Leute alle unfähig sind eine Universität in einer fremden Stadt zu finden? Und um eine Karte zu lesen, braucht man ja auch keine besonderen Fähigkeiten – dachte ich zu dem Zeitpunkt. Wie ich da aber saß und keine Ahnung hatte was vor sich ging – war ich in eine komische Extradimension gerutscht, wo alles verschoben war? Ein Seoul-Dreieck, das Nanta-Pilgerer verschluckt?

Nachdem offensichtlich wurde, dass ich durch Hinsetzen und Nachdenken auf keine sinnvolle Interpretation der Kartenlage kam, machte ich mich wieder auf, ging zurück zur verwirrenden Kreuzung (blaue Reißzwecke), wo, neben ein paar Buden des Kaffee-Festivals auch eine Bühne aufgebaut war, und ich irgendwelche Polizisten zu fragen gedachte. Allerdings, als ich mir den Platz dort in Ruhe noch einmal ansah, die Karte (der ich nicht mehr zu trauen gewillt war) damit verglich, und das Schild, auf das ich zuvor hereingefallen war, ignorierte – da schien mir die tatsächlich richtige Straße dann die richtige zu sein. Tatsächlich sah es dort dann auch so aus, wie man sich eine Straße mit Theatern vorstellt. Nach ein paar Häusern kam ich zu einem anderen Musical-Theater, das in meinem Führer ebenfalls als „auf dem Weg zu Nanta“ erwähnt wurde. Ich schaute kurz an der Kasse vorbei, aber dort lief wohl nur ein modernes Musical mit irgendeiner Hochzeitsgeschichte – nicht so ganz mein Fall, zudem hatte es gerade angefangen. Ich beschloss, erst noch zu Nanta vorbeizusehen, ob ich dort Karten für die Abendvorstellung (20 Uhr) bekommen konnte. Falls nicht, wollte ich zurückkehren und wenigstens Karten für dieses Musical ergattern.

Etwas weiter die Straße entlang kam ich dann an der kanadischen Botschaft vorbei – tatsächlich (lila Ballon ohne Punkt)! Der endlos labernde wirre Mann hatte also doch etwas halbwegs Sinnvolles gesagt! Und die Karte hatte sich, und mich, also einmal mehr getäuscht. Die Botschaft sah sehr neu aus, möglicherweise war sie in den letzten Monaten erst umgezogen. Was die Heilsarmee angeht, das Rätsel konnte ich nicht lösen, im Internet konnte ich leider das offizielle Heilsarmee-Hauptquartier in Seoul nicht gut lokalisieren. Ich vermute aber, dass auch die entweder umgezogen sind (dorthin wo ich sie sah), dass die Karte einfach falsch war, oder dass sie dort vielleicht auch noch ein Gebäude haben. Das Gleiche scheint übrigens für die amerikanische Botschaft zu gelten: das Gelände, das ich sah, war wohl ein abseits vom Hauptgebäude gelegenes separates Areal, vielleicht eine Art Gästehaus oder ähnliches, während sich die Botschaft selbst tatsächlich beim grünen Ballon mit Punkt befindet.

Ich denke, man kann meine Verwirrung jetzt nachvollziehen. Dass eine Karte vielleicht mal ein Gebäude falsch platziert – damit kann man noch rechnen. Aber dass drei völlig verschiedene Gebäude, und noch dazu wichtige Internationale Einrichtungen, falsch platziert sind – wer hätte das gedacht?

Bei Nanta erwartete mich eine erfreuliche Überraschung – auch die Aufführungszeiten in meinem Stadtführer waren falsch (wie kann in einem etwa 1 Jahr alten Führer so viel falsch sein?), statt um 16:00 ging die Vorstellung erst um 17:00 los, so dass ich ganz gemütlich auf den Beginn warten konnte. So hat es trotz all den Fehlern und der Hektik doch noch gut geklappt.

Von Nanta selbst konnte ich keine Fotos oder Videos machen, ich habe nur ein Bild von der Bühne vor dem Beginn:

Von diesem Video hier bekommt man vielleicht einen ganz guten Eindruck. Es ist so eine Mischung aus Stomp (Percussion-Musik mit Messern, Pfannen, Deckeln, … ) und Slapstick-Comedy, oder einer Clown-Show. Die Darsteller sind zusätzlich zum Musikalischen alle recht gut trainiert, so dass es auch ein paar Kampfkunst- oder Jonglage-Einlagen gibt. Ich hab mich gut amüsiert, auch wenn ich nur wenig entdeckt habe was ich nicht so oder so ähnlich schonmal wo anders gesehen hätte. Trotzdem ist es sehr kurzweilig und empfehlenswert, und nur weil man eine Comedy-Routine schon kennt, heißt das ja nicht, dass sie nicht mehr wirkt.

Jetzt mache ich  mal Schluss, den Rest des Tages erzähle ich das nächste Mal, der Text hier ist eh schon so lang.

Aufgewacht in meinem hübschen Zimmer im 10. Stock über der wichtigen Kreuzung „Sinchon“, und erstmal Pläne für den Tag gemacht. Dann ausgecheckt und los. Frühstück gabs in so einem Muffin-Shop im Ubahn-Untergeschoß. Matcha- (also Grüntee-) Latte? Meinetwegen…. schmeckte wie geschlagene Sahne mit Grüntee-Geschmack, konnte also nicht allzu gesund sein. Dazu einen Mango-Muffin – und netter(?)weise bekam ich gleich 2 eingepackt. Entweder hat sich die Dame vertan, oder es gab eine Sonderaktion, die sie mir lieber einfach gegeben hat, statt sie mir umständlich zu erklären. Dieses eigentlich recht uninteressante Ereignis habe ich hier trotzdem notiert, weil es ein guter Start in einen guten Tag war.

Mein Hotel für die letzte Nacht erlaubte den Check-In erst ab 15:00, also musste ich mit meinem vollgepackten Rucksack und einer ebenso gut gefüllten Stofftasche über die Schulter durch die Stadt laufen. Erster Stopp war der wohl größte und laut meinem Lonely-Planet-Führer interessanteste der 5 großen Paläste in Seoul. Leider gibt es wohl für Koreanisch keine Transkription, die sich überall durchgesetzt hat. Es gibt wohl eine offizielle (laut der Kimchi wohl  nun Gimchi heißt…?), aber man findet alles mögliche. So heißt der Palast mal Changdeokgung, mal Changd’ukgung (oder so ähnlich), und so weiter. Ich habe bestimmt fünfmal nachlesen müssen wo ich denn nun genau bin, denn die anderen Paläste haben verwirrend ähnliche Namen.

Der Palast selbst war schon recht schön, besonders eindrucksvoll war aber der „secret garden“ dahinter. Ganz anders als die japanische Gartenkunst, denn hier in Korea scheint man sich nicht daran zu stören, wenn man erkennen kann, dass ein Garten künstlich angelegt wurde. Die japanischen Gärten sollen aber idealisierte Natur und Natürlichkeit darstellen. Leider hatte ich den ganzen Besuch über Probleme mit diffusem Gegenlicht. Nichtmal „HI-ISO“ konnte was daran ändern… auch nicht der „Gegenlicht“-Modus. Bei dem schießt der Apparat einen Blitz ab, und die Farben werden dann etwas weicher und wärmer.

Jedenfalls sind im Gartengebiet verstreut verschiedene kleine Anlage mit unterschiedlichen Zwecken, meistens Erholung. Am beeindruckendsten war fast gleich der erste:

Das Gebäude oben ist eine Bibliothek mit Bücherlager im Obergeschoß und Leseraum im Untergeschoß. Zur rechten ein luftiges Gebäude, in dem wohl Picknick gemacht und Tee getrunken wurde. Davor ist ein gänzlich anti-japanischer Teich, nämlich rechteckig und mit Steinen eingefasst. Die Anlage strahlt eine unendliche Ruhe aus, man hat das Gefühl, man braucht nichts mehr im Leben als diese paar Gebäude da (zugegeben, Teile eines Königspalasts) und könnte sich dort endlos aufhalten, völlig abschalten vom allem und sich nur dort hinsetzen und lesen, jeden Tag, den ganzen Tag. Auf der anderen Seite ist ein kleines Häuschen, in dem der König saß, wenn er angeln wollte.

In anderen Teilen des Gartens, natürlich immer so geplant, dass man von einer Anlage keine der anderen sehen kann, sondern sich immer allein in einem Wald wähnt (plus die ganzen anderen Touristen, natürlich), finden sich weitere Pavillons mit zumindest dem Namen nach sehr spezifischen Aufgaben: Ein Pavillon für das Einnehmen von Medizin, einer für die Studien des Kronprinzen, einer für das Beobachten von Booten auf einem Teich…

Alles sehr ruhig und geschmackvoll und perfekt in die Umgebung eingebunden, aber durch die bunten Farben an den Gebäuden und besonders die Teiche wiederum ganz anders als japanische Gärten, die ja ähnliche Ziele verfolgen.

In dieser Anlage gab es vor dem Felsbrocken einen eingemeißelten künstlichen Wasserkanal. Hier wurden Dichtwettbewerbe in doppelter Bedeutung durchgeführt: es wurden Texte verfasst, und dabei Wein getrunken. Im Hintergrund sieht man einen Pavillon mit einem etwas ärmlichen Strohdach. Dieser steht in einem kleinen Reisfeld, und das Dach ist aus dem Reisstroh, den dieses Feld produziert hat. Den Geschichten zufolge hat der König hier manchmal „dem Volk“ gezeigt, wie man richtig Reis anbaut und gleichzeitig, dass er selbst nicht völlig vom „kleinen Mann“ abgehoben war. Wie man ein Reisstrohdach herstellt, war wohl auch Teil dieser Vorführung.

Nach der ganzen Lauferei musste erstmal Mittagessen her. Zudem wurde es langsam kühl. Die Fremdenführerin erzählte, dass die bei einigen Bäumen schon recht deutliche Laubfärbung von gestern auf heute passiert sei, weil es einen kleinen Kälteeinbruch gegeben hatte. Eben der machte mir jetzt zu schaffen – in meinem Bestreben, nur mit einem Rucksack nach Korea zu reisen, also kein Gepäck aufgeben zu müssen, hatte ich wenig warme Kleidung mitgenommen, und an eine Jacke hatte ich auch nicht gedacht. Ich lief also durch die in Seoul doch schon recht kühle Herbstluft  mit einem dünnen Pullover über 2 kurzärmligen T-Shirts.

Nahe beim Palast liegt eine recht touristische Gegend, Insadon, mit vielen Restaurant und vielen Souvenir-Läden, da zog ich als nächstes hin. Das übergroße Angebot machte mir etwas zu schaffen, also entschied ich mich für das erste Lokal, das eine Ginseng-Huhn-Suppe anbot, die mir Fujii am Vortag als koreanische Spezialität empfohlen hatte.

Das Lokal war innen ganz gemütlich gemacht:

Der Herr, der dort saß, ist mir übrigens nicht näher bekannt; ich glaube, die beiden waren vermutlich Besitzer oder Ähnliches. Jedenfalls wirkten sie, als wären sie da zu Hause, aber nicht so, als müssten sie irgendwas arbeiten. Die Suppe war leider eine Enttäuschung, sie schmeckte ungefähr so wie wenn ich sie gemacht hätte: wie Huhn und Ginseng-Wurzeln in einem lauwarmen, fettig-salzigen Wasser. Ich konnte jedenfalls nicht feststellen, dass sich ein Geschmack mit einem anderen irgendwie verbunden hätte. Ich denke aber, dass der Fehler nicht im Rezept liegt, sondern in der Ausführung. Es ist halt als Tourist in der Touristenfallen-Gegend immer eine Möglichkeit, dass man eine Falle erwischt, wo es dann nicht nur überteuert ist, sondern auch noch nicht gut ist. Immerhin der „chinesische Quitte“-Tee war sehr lecker, wenn auch fast ein bisschen zu sehr mit Honig gesüßt. Zumindest habe ich aus dem Lokal also die Idee mitgenommen, Quittentee herzustellen oder zu trinken.

Während ich den letzten Rest Tee ausschlürfte, machte ich weitere Pläne. Ich beschloss, mir etwas koreanische Kultur anzusehen. Ursprünglich stand mir der Sinn nach etwas Klassisch-Traditionellem. Im Führer las ich aber von einer sehr beliebten Slapstick/Comedy/Musik-Vorstellung namens „Nanta“, die seit Jahren ununterbrochen lief, am Broadway Gastauftritte hatte etc.

Die entsprechende Bühne zu finden, war allerdings überraschend abenteuerlich und verwirrend, weswegen ich dafür einen extra Blog-Eintrag machen werde.

Coming soon!

Korea, Midgame

Dezember 6, 2011

Am nächsten Tag, Donnerstag, begann der zweitätige Mini-Workshop, mit meinem Vortrag für den späten Freitagabend vorgesehen. Vormittags sah ich mich ein wenig in der Sincheon-Gegend um und suchte mein vom Organisatorenteam besorgtes Hotel, fand es aber nicht, lief dann in die falsche Richtung, weil ich dachte, ich wäre in die falsche Richtung gelaufen, und entschied mich schließlich dann, zur Yonsei-Universität zu laufen, wo die Konferenz stattfinden sollte.

Dort traf ich den ehemaligen Doktoranden unserer Gruppe, der in seine Heimat zurückgekehrt ist und der für mich die Teilnahme organisiert hatte. Wir wechselten etwa sieben Sätze, er stellte mich den Organisatoren vor, und verschwand dann wieder. Die Konferenz selbst war nicht weiter erwähnenswert, die Gruppe hatte einfach Geld übrig und entschied sich, es auf diese Weise loszuwerden, deswegen gab es kein besonders präzises übergreifendes Thema oder sonst irgendeinen Zusammenhang zwischen den einzelnen Vorträgen. Das Mensa-Essen war recht gut, selbst dort bestellt man nur ein Hauptgericht, und erhält dazu dann scharfe Suppe und Kimchi als Beilagen. Abends gab es dann ein Konferenzdinner, und natürlich freute ich mich auf eine weitere Kostprobe der vielgelobten koreanischen Küche, diesmal in einem von Einheimischen ausgesuchten Lokal.

Es folgte eine Überraschung: Das Lokal, das ausgesucht wurde für das Konferenzbankett, nannte sich Fujisan – ein japanisches Restaurant! Die Japaner, die nach den Koreanern mit großem Abstand die meisten Teilnehmer stellten, amüsierten sich darüber nicht wenig, und bezeichneten das als „Rache“ für eine Konferenz in Japan einige Monate zuvor, wo man Koreaner in Japan zu einem koreanischen Lokal geführt hatte. Das ist wohl der Reiz des Exotischen… Das Essen war dort in Ordnung, wenn auch nicht großartig. Der Sashimi-Fisch war eingefroren gewesen und kam zum Teil noch etwas hart auf den Tisch. Selbstverständlich darf bei keinem Essen in Korea die Farbe rot weniger als dominierend sein, also waren an jedem Tisch bereits Schälchen mit roten Soßen bereitgestellt. Eine war die berühmte Gochujang, die andere eine Art besonders scharfes Ketchup. Erschreckenderweise und zum nur in geringem Maße verhohlenen Entsetzen der Japaner, packten die Koreaner die rohen Fischfilets und tauchten sie in diese Pasten, wodurch der feine Geschmack natürlich augenblicklich verflog und das Sashimi sich in einen schwammigen Geschmacksträger für Gochujang verwandelte. Dabei wurde uns auch noch erzählt, dass Koreaner gerne rohe Chilischoten nähmen und sie in Gochujang dippten, weil sie ihnen sonst nicht scharf genug wären. Koreanisch ist wahrscheinlich nicht die allerschärfste Küche der Welt, aber für ungewohnte Gaumen doch eine Herausforderung. Ganz hübsch war dieser Teller mit drei verschiedenen Muscheln, wobei man mir nicht so direkt sagen konnte, was das genau für Muscheln seien:

Gewöhnungsbedürftig sind auch die Tischmanieren, die sich von den japanischen stark unterscheiden und deutlich anspruchsvoller sind. Man darf keine Schalen anheben, um daraus zu essen, wie es in Japan die Regel ist. Man mischt den Reis durchaus mit Soßen und anderen Dingen, während in Japan der Reis immer rein bleibt. Dafür isst man ihn in Korea mit einem separat beigelegten Metalllöffel. Stäbchen sind ebenfalls aus Metall, und meistens schmal und flach, so dass man manchmal das Gefühl hat, mit einer Schere essen zu müssen. Die Schere ist aber ein weiteres häufiges Essutensil und liegt den koreanischen Grillgerichten bei, um die Fleischstücke einfach zu teilen.

Ich saß dem koreanischen Gastgeberprofessor genau gegenüber, was mir auch in Italien mit dem damaligen Gastgeber  schon einmal passiert war. Damals musste ich professoriales Augenrollen und brummelige Vorwürfe über mich ergehen lassen, weil ich nicht der Gemeinschaft der Hobby-Fischer angehöre. Einerseits ist so ein Tete-a-tete mit so einer Persönlichkeit immer ein bisschen anstrengend, weil man ja unbedingt einen guten Eindruck machen will, andererseits kriegt man so immer nette Insider-Informationen über berühmte Professoren und die politischen und wissenschaftlichen Vorgänge hinter den Kulissen bekannter Universitäten mit. An diesem Abend gab es diese Infos dann sogar ohne Augenrollen und Fischerpropaganda.

Abends begleiteten uns dann zum Glück zwei koreanische Doktoranden zu unserem Hotel. Tatsächlich handelte es sich dabei nämlich um einen möblierten Appartment-Komplex für mittel- bis langfristiges Mieten, der aber bei Leerständen auch als Hotel fungierte. Irgendein Problem war wohl mit der Anzahl der Nächte aufgetreten, und da es mit Englisch auch dort nicht weit her war, waren wir recht froh über die Intervention der Einheimischen. Auf dem Fernseher dort lief der Starcraft-Fernsehkanal dann auch ohne Flimmern, und man hatte aus dem 10. Stock einen hübschen Ausblick auf die Sinchon-Kreuzung.

Am nächsten Tag hatte ich meinen Vortrag, der ohne besondere Vorkommnisse ablief. Ich hatte den vorletzten Talk am Freitagabend, da sind normalerweise alle Teilnehmer schon  ziemlich müde, nicken regelmäßig ein und sind generell weniger kritisch und angriffslustig als vielleicht bei Vorträgen gleich früh  morgens. Nach dem Ende des Workshops war nichts Offizielles mehr geplant, und mein südkoreanischer Bekannter schien auch nicht erpicht auf eine gemeinsame Unternehmung. Für das folgende Wochenende, das ich ja auch noch in Seoul verbringen wollte, hatte er sich schon abgemeldet, da er da an einer weiteren Konferenz teilnehmen musste. Überraschenderweise hatte aber der japanische Assistenzprofessor, der in München mal während der Wiesn zu Besuch kam und dem ich dafür meine Wohnung überlassen hatte, Freizeit übrig und nichts dagegen, sie gemeinsam zu verbringen.

Erstmal machten wir also ein paar Runden im Ausgehviertel von Seoul, sahen uns ein paar Open-Air Musikvorführungen an (grausig), er probierte koreanische Fast-Food-Snacks, und ich begeisterte mich mal wieder für Süßes. Hier und da gab es verrückte Angebote, wie etwa diesen Laden, wo dünnes, vermutlich getrocknetes und dann irgendwie gewürztes, Fleisch verkauft wurde. Leider (im Nachhinein) habe ich es nicht probiert, aber es ist hoffentlich gut, wenn 100g der „goldenen Münzen“ links unten schon etwa 4,50 Euro kosten.

Als Besuchsziel hatte mein Begleiter den „Seoul Tower“ vorgeschlagen, einen Fernsehturm in einer Hügelkette mitten in der Stadt, inmitten eines Parks. Auch weil es dunkelte, war das wohl eher ein Besuchsziel für Pärchen, aber wir nahmen trotzdem die Hochseilbahn zum Turm. Es stellte sich heraus, dass der Turm ein Mogelturm  ist – sieht sehr hoch aus, ist aber eigentlich nur ein Stummel, der auf dem höchsten Hügel steht. Man hatte sich aber etwas Nettes ausgedacht, und zwar eine auf den Turm projizierte Videoshow, von Musik begleitet. Ein bisschen was davon versuchte ich [mit der Kamera einzufangen], aber aufgrund des Formats war das nicht ganz so einfach. Abgesehen davon gab es noch ein paar kleine, angestrahlte Pavillone, aber das war nun wirklich eher etwas für Pärchen:

Nach einigem Hin und Her stellte sich heraus, dass keiner von uns die etwa 6 Euro zahlen wollte, um noch etwas höher (d.h. auf das Türmchen) hinaufzufahren, und dass wir beide koreanisches Barbecue als Abendessen bevorzugten. Wir betraten also einfach das erste Lokal auf dem Rückweg, das die typischen Grillkessel-Vertiefungen in den Tischen hatte. Wo das nicht zu sehen ist, werden oft ebentischige Elektrogrills verwendet – natürlich vollkommen inakzeptabel. Das Lokal war eher für Einheimische als für Touristen gedacht (oder zumindest für einheimische Touristen), aber irgendein Grillfleisch bestellen ist nicht so sehr kompliziert, und im Gegensatz zu Japan kann man recht wenig falsch machen. In Japan entsprechen allerlei merkwürdige Dinge dem Geschmack, wie etwa alle möglichen knorpelhaltigen Tierteile, hart-flachsige Sehnenstücke, allerlei Innereien und so weiter. In Korea, auf dem Festland, ist man verwöhnter und lässt sich mehr echtes Fleisch schmecken. Zu unserer Bestellung kamen dann, der koreanischen Sitte entsprechend, wieder ein Haufen Beilagen, wenn auch nicht ganz so viele (und gute) wie bei meinem Erlebnis zwei Tage zuvor. In meinem Reiseführer stand, dass es anscheinend von der koreanischen Regierung öfters Versuche gegeben hat, diese Sitte der vielen Verschwendung wegen abzuschaffen oder einzudämmen, aber die Koreaner ließen das nicht mit sich  machen. Die Opulenz auf dem Tisch ist wohl eine geliebte Tradition – und es macht auch wirklich Spaß, wenn man das schlechte Gewissen verdrängen kann. Natürlich gibt es auch hiervon Fotos:

Dazu gab es auch eine Suppe – ich weiß nicht aus was. Eine ganz schreckliche Suppe. Ich erinnere mich an die schlimmste Suppe meines Lebens, die mir einmal bei entfernten Bekannten serviert wurde, und die ich dann brav, mit einem Lächeln, wenn auch recht langsam, hinunterzwingen musste. Die Suppe, die es hier gab, war wahrscheinlich marginal besser – aber hier musste ich mich zum Glück nicht zwingen, sondern konnte sie einfach stehen lassen. Ich präsentiere: die zweitekligste Suppe der Welt:

Die Farbe hätte mir nichts ausgemacht, aber der Geschmack.. nach irgendeiner Wurzel, oder etwas Vergorenem, oder beides… da kann ich gar nicht … da muss ich mich … ganz schlimm. Links daneben steht Soju von der Firma Jinro (also genau das Getränk, nach dem sich der Starcraft-Spieler Jonathan „Jinro“ Walsh benannt hat), das im Geschmack deutliche Anklänge von Terpentin bietet. Aber immer noch besser als die Suppe.

Danach gings durch das Ausgehviertel wieder zurück zum Hotel, nur dass mein Bekannter ein Sake-Spezialitäten-Lokal entdeckte, wo auch Makkori angeboten wurde, das er als „japanischer Federweißer“ bezeichnete. Also kehrten wir noch einmal schnell ein, wollten Makkori trinken – da wurde uns gesagt, wir müssten auch etwas zum Essen bestellen. Dabei waren wir doch so satt! Notgedrungen bestellen wir das Billigste auf der Karte, aber nicht unbedingt des Preises wegen, sondern weil es nach etwas klang, das man vielleicht nebenher noch schaffen könnte: eine Art Omelett mit Kimchi.

Den makkori sieht man über dem Omelett stehen, und unten rechts in meiner Tasse. Ist milchig-cremig, süßlich und mit kleinen prickelnden Bläschen von der Gärung. Wirklich sehr lecker, wenn es in Japan nicht so teuer wäre, hätte ich mir davon hier bestimmt schon ab und an mal eine Flasche gekauft. Wir verabschiedeten uns in der Nähe meines Hotels, wo mein Bekannter noch einen Delikatessen-Supermarkt suchen wollte, wobei ich noch kurz helfen konnte, da ich nicht davor zurückscheute, ein paar ältere koreanische Damen nach dem Weg zu fragen

Leider sollte es nicht sein. Als ich aufwachte, waren meine Kopfschmerzen etwas besser, aber beileibe nicht verschwunden.  Nichtsdestotrotz hievte ich mich aus dem Bett und zwang mich in die Dusche, deren weniger als neuwertiger Zustand die übliche morgendliche Aversion bei Müdigkeit zusätzlich verstärkte. Dann machte ich mich auf, die laut Flughafeninformation so komplizierte Seoul-Ubahn zu erkunden. Tatsächlich ist sie extrem einfach zu benutzen und auch ziemlich günstig. Ein auf Wunsch in Englisch darstellender Automat mit Touchscreen lässt einen den Zielbahnhof eingeben und zeigt dazu den Fahrpreis an, man muss dann nur das Geld einwerfen (+ 500 Won Kaution) und bekommt dafür eine Plastikkarte. Mit der berührt man beim Betreten und Verlassen des Bahnhofs jeweils einmal eine Schrankenmaschine, und das war’s. Die Kaution gibts an Kautionsautomaten zurück. Üblicherweise hab ich für eine Fahrt, auch für längere, nur den Minimalpreis von 1000 Won, also etwa 70 Cent, gezahlt. Ubahnen sind sauber, pünktlich, und regelmäßig – alles wunderbar.

Weniger wunderbar war meine Verfassung. Im Prinzip muss man sich hinter jedem der folgenden, eher unrühmlichen, Sätze die Ergänzung „aber ich war müde und hatte Kopfweh“ denken, die ich jetzt nur der Übersichtlichkeit halber meistens weglasse.  Am Bahnhof Sindorim stieg ich jedenfalls aus und suchte den „Technomart“, in dessen siebtem Stock sich – laut Internet – das erste „E-sports-Stadion der Welt“ befinden sollte , das „intel e-stadium“. Nach einigem Herumgegurke und einer Backwarenmahlzeit in der Sonne fand ich dann diesen ominösen Technomart und fuhr in den siebten Stock. Da sah es aus wie in einer Messehalle oder einem Mehrzweck-Bürogeschoß, mit vielen kleinen Abteilungen, und dazwischen viele weite Flure. Da gab es Werbefirmen, Computerfirmen, eine Immobilienvertriebsgesellschaft, eine Hochzeitsausstellung, ein paar Säle für Hochzeiten in edlem Ambieten, und noch einiges mehr. Es gab aber keinen Plan, so dass ich da ziemlich ziellos umherirrte, aber einfach nichts fand. Ich fuhr wieder unter in die Lobby und fragte die Dame am Informationstisch. Sehr informativ war sie aber nicht, weil sie kein Wort englisch konnte. Irgendwie verstand sie aber dann doch „intel e-stadium“ und sagte was von „sevens floor“. Also wieder hoch, weitergesucht, nichts gefunden. Da war es vielleicht 11 oder 12 Uhr.  Im Internet war keine Zeit angegeben gewesen, und ich hatte daher einfach angenommen, wenn ich um 11 da wäre, würde ich schon etwas vorfinden. Nachdem da aber nix war, dachte ich, ich sei vielleicht zu früh, aber ich war müde und hatte Kopfschmerzen. Immerhin sind ja Computerspieler nicht für frühes Aufstehen bekannt. Ich beschloss also etwas Zeit totzuschlagen und dann mich noch einmal auf die Suche zu machen. Ich schlenderte also durch ein nahe gelegenes Einkaufszentrum und kämpfte dort den Wunsch nieder, die günstigen Preis zu nutzen um mich mit warmen Wintersachen auszurüsten. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, dort was zu kaufen, aber ich hatte keine Lust auf ewiges Kleideraussuchen, und ich war müde und hatte Kopfschmerzen. Drum setzte ich mich nach einer Weile dann auch auf eine Bank im Technomart und las für ein oder zwei Stunden. So gegen 14 Uhr machte ich noch eine Runde durch den 7. Stock, wo inzwischen irgendeine Vorführung für Babykleidung vorbereitet wurde.

Ich fuhr wieder nach unten, in der Hoffnung, aus der Info-Dame vielleicht doch noch was rauszukriegen – oder dass vielleicht ein Schichtwechsel stattgefunden hatte. Da war ich aber schon fast überzeugt, dass wohl der Austragungsort des Qualifizierungsturniers verschoben worden war. Während ich mal wieder im Lift saß, studierte ich nochmal besonders eindringlich die rein koreanische Beschreibung der Stockwerke, und tatsächlich entdeckte ich im 3. Stock neben allerlei Hangeul (koreanischer Schriftzeichen) ein winziges, einsames, verlorenes „e“. Da „e“ von „e-stadium“? Im dritten Stock war alles voller kleiner Stände, die jeweils allerlei technische Geräte wie Fernseher, Navigationsgeräte und ähnliches verkauften. Ich wollte schon wieder zurück, da sah ich hinten in einer Ecke blaue Wand, die nach meiner Interpretation der Kaufhausgeographie die Innenseite einer Außenwand sein musste – aber da war tatsächlich eine Tür.

Als ich näher kam, war natürlich sofort klar dass das das e-stadium war… es hatte wohl nur niemand für nötig behalten, das auf den entsprechenden Internetseiten oder in DEN INFOS DER INFODAME!!! zu berichtigen. Innen waren dann von den etwa 100 PCs noch etwa 5 besetzt, der Turniertag war also schon so gut wie beendet. Hätte ich den Raum gleich um 11 gefunden, wäre ich zum perfekten Zeitpunkt gekommen…. sehr schade.

Immerhin konnte ich noch sehen, wie FXO GuineaPig sich ins Turnier spielte, und auch ein paar andere FXO Leute waren noch da. Zumindest Oz und Leenock konnte ich erkennen. Nachdem Leenock bei MLG Providence  50.000 $ gewonnen hat und jetzt im GSL Finale steht, ärgere ich mich, dass ich mir nicht doch ein Autogramm geholt habe. So Live sieht Leenock gar nicht so knuddelig-knuffig aus wie im Fernsehen, weil er wohl ungefähr meine Größe hat, aber viel viel fülliger ist. Ganz hinten im Raum saßen Doa und Khaldor, die nach dem letzten Spiel nichts mehr zu tun hatten. Wenn ich in besserer Verfassung gewesen wäre, wäre ich wohl hingegangen und hätte hallo gesagt, aber ich war müde und hatte Kopfschmerzen, und irgendwie wollte ich nicht wie diese Fans sein die den armen Gottschalk überall anfallen und so tun als wären sie beste Freunde (oder mehr?) mit ihm. Wahrscheinlich hätte es ihnen nichts ausgemacht, aber naja.

Bin dann wieder zurück zu meinem Hotel und machte mich dann langsam auf die Suche nach was zum Essen, da mein kombiniertes Frühstück und Mittagessen bis dahin ja nur ein paar Backwaren gewesen waren. In meinem geliehenen Seoul-Führer wurde eigentlich überall ein bestimmtes Lokal für koreanisches Barbecue empfohlen, Jongnol-gom oder so ähnlich. Das war auch gut zu Fuß zu erreichen, also brach ich dorthin auf. Der Weg führte an einer der Hauptstraßen Seouls, entlang, war also voller Geschäfte, insbesondere kaufte man dort wohl viel Gold und sonstigen Schmuck.

Zwischendurch kam ich an einem Eingang zu einem kleinen Markt mit Ständen vorbei – dachte ich. Tatsächlich stellte es sich als gigantischer, hauptsächlich Nahrungsmittelmarkt heraus, eine mehrere hundert Meter lange  überdachte Straße, die sich in der Mitte mit einer sogar noch etwas längeren Marktstraße kreuzte. Von hinten bis vorne, von links nach rechts, alles war vollgestellt mit kleinen Ständen die koreanisches Essen aller Farben und Formen anboten. Und ich hatte gedacht, die paar Zeltchen vor meinem Hotel wären was Besonderes! Es war auch sehr viel los, das scheint also ein fester Bestandteil koreanischer Kultur zu sein, dass man abends gemeinsam in so einem Stand draußen isst. Vieles sah auch sehr verlockend aus, aber ich hatte mir ja vorgenommen, heute dieses empfohlene Restaurant zu suchen, und wollte das auch durchziehen. Falls das aus irgendeinem Grund in die Hose ging, konnte ich ja immer noch hierher zurückkommen. Ich habe auch ein Foto gemacht, das aber der enormen Größe des Geländes, den vielen Leuten und der geschäftigen und lärmenden Enge nicht sehr gerecht wird:

Links sieht man den Eingang zum Markt, und rechts muss man sich jetzt noch drei, vier, fünhundert Meter solcher Stände vorstellen, jeweils zwei nebeneinander, und in der Mitte dann sogar noch mehr auf einem Haufen. Ich musste den Markt dann fluchtartig verlassen, sonst hätte ich ihn leergekauft oder mich dort vollgefressen, und ich hatte doch eigentlich ein ganz anderes Ziel!

Die Karte in meinem Führer stellte sich allerdings als sehr sehr grob heraus. Wo zwei Straßen eingezeichnet waren, befand sich stattdessen ein ganzes Gewirr von kleinen Gässchen, und zu allem Überfluss war alles von hinten bis vorne mit Restaurants vollgepflastert. Ich weiß ehrlich gesagt bis heute nicht, ob ich wirklich in dem Restaurant gelandet bin, das empfohlen wurde, oder nicht. Die Speisekarte war natürlich rein koreanisch, allerdings mit Bildern. Ich deutete auf ein Fleischgericht – das hatten sie nicht. Ich deutete auf ein anderes Fleischgericht – die Kellnerin nickte, aber machte dann ein schrecklich skeptisches Gesicht und zeigte mit den Fingern und fragender Miene: „Eins? Zwei?“ Ich bestätigte „eines“, aber sie schaute weiter kritisch und deutete wiederholt auf die Mengenangabe „150g“. Na gut, wenn das zu wenig sein sollte – es waren auch keine Beilagen oder Reis oder ähnliches mit abgebildet, nur kleingeschnittene Fleischstücke, bereit für den Grill – wählte ich also noch ein weiteres Gericht, allerdings ein günstigeres für 9000 Won (6 euro), während das erste 20000 Won, also etwa 13 Euro gekostet hatte.

Als erstes wurde in die Vertiefung im Tisch ein Kohlebecken eingesetzt. So weit, so gut. Dann ging es los: Die Kellnerin brachte unzählige Armladungen voller Beilagengerichte, ich wusste gar nicht wie mir geschah. Ein Tellerchen nach dem anderen landete auf dem Tisch, bis fast kein Platz mehr war. Als dann auch die rohen Fleischstücke auf einem Teller kamen und als ich dachte, jetzt müsse endlich Schluss sein – da kam sie mit einem kleinen Tischkocher und einer riesigen Pfanne mit mariniertem Fleisch und Glasnudeln, das war das zweite Gericht, das dazuzubestellen sie mich überredet hatte. So in etwa sah das Ganze dann aus, wobei ich auf das Foto nicht alles draufbekommen habe:

Neben dem linken Bildrand standen noch eine Suppe und Kimchi, von denen ich jeweils nicht kaum ein Mund/Gabelvoll kostete, weil ich es einfach nicht mehr schaffte. Links im Bild sieht man die Hälfte eines Tellers mit sehr leckerer eingelegter Salatgurke, darunter, ganz in der Ecke, den Teller mit den Salat- und Sesamblättern. Man grillt sich die Fleischstücke in der Mitte auf dem Kohlegrill, dann schneidet man sie mit einer Schere in handliche Portionen. Die kommen dann in ein Blat, dazu gibt man etwas Gojuchang (diese rote Chilipaste in der Mitte beim Grill, unter dem Knoblauch) und je nach Geschmack Salz und/oder etwas Salat (rechts im Schälchen). Das harmoniert ganz wunderbar und ist darin auch ganz anders als die japanische Variante, wo man das Fleisch einfach nur in Soßen eintunkt und das war’s. In der Mitte sieht man noch (natürlich mit Chili) marinierten Tofu, auch sehr lecker, oben ist ein Nudelsalat, den ich nichtmal probieren konnte. Die riesige Pfanne mit dem vor sich hin brodelnden Fleisch war selbstverständlich absolut überflüssig, ich wunderte mich also gehörig, warum mir die Kellnerin so eindringlich dazu geraten hatte. Jedenfalls schmeckte alles ganz großartig, nicht nur das Fleisch mit der Paste, sondern auch jedes einzelne Beilagengericht. Ob es nun das empfohlene Restaurant war oder nicht – es hatte sich auf jeden Fall ordentlich gelohnt.

Später habe ich dann erfahren, dass viele Lokale an Einzelpersonen gar kein koreanischer Barbecue servieren, so dass der Gedanke vielleicht war, dass ich gewissermaßen „für zwei“ bestellte. Gezahlt hab ich insgesamt dann knapp 4000 Won, also etwa 25 Euro. Angenehmerweise gibt man auch in Korea kein Trinkgeld. Später, bis oben hin vollgestopft, viel ich dann im Hotelzimmer in mein Bett. Das Hotel bot dann noch kurz all seine Kräfte auf, um alle Klischees eines schmuddeligen und heruntergekommenen Hauses zu erfüllen. In einem Zimmer etwas weiter den Flur hinunter und dann irgendwo um die Ecke hatte jemand entweder einen Pornofilm auf voller Lautstärke laufen, oder aber Begleitung, die entweder aus professioneller Notwendigkeit, oder aus laienhaftem Ehrgeiz heraus sehr gut in einen gepasst hätte. Als ich kurz die Tür meines Zimmers öffnete, um zu sehen ob irgendjemand die Tür offen gelassen hatte oder ähnliches – so laut war der Lärm – sah ich auf dem Gang zwei Leute des Hotelpersonals, die sich auf zwei Stühlen vor einer kleinen Besenkammer niedergelassen hatten, rauchten und wohl das Schauspiel genossen. Schaudernd kehrte ich in den Raum zurück. Kurzzeitig wurden meine Kopfschmerzen dann noch bestürmt von einem lauten Techno-Beat der durch die Decke zu mir herunterwummerte, glücklicherweise aber nach etwa 5 Minuten für immer verschwand. Ich hatte schon ernsthaft befürchtet, die ominöse Bezeichnung „Hotel Central Club“ für das oberste Stockwerk des Hotel würde sich auf eine Disco beziehen und das Hämmern würde die ganze Nacht hindurch erschallen. So war es zum Glück dann aber nicht – weiß der Kuckuck wo der Lärm plötzlich herkam und wohin er dann wieder verschwand.

Ich legte mich also unters Kopfkissen (aus Lärmgründen) und hoffte, dass das Kopfweh wenigstens am nächsten Tag, dem ersten Koferenztag, endgültig bezwungen sein würde…

Korea – erster Abend

November 20, 2011

Aus dem Bus bei Jongnol-samga ausgestiegen, merkte ich sofort, dass es deutlich kühler war in Korea als in Japan. Ich habe Japan immer so grob als in Nord-Süd Richtung liegend im Kopf, mit Korea am südlichen Ende, aber tatsächlich liegt Japan ja schräg, und Korea schließt daran an, zieht sich dann aber wieder nach oben, so dass Seoul insgesamt recht weit im Norden liegt. In Seoul war ich dann ständig am Frösteln. Wie so oft völlig unvorbereitet, hatte ich nichtmal eine Jacke dabei, musste mich also in meiner Zeit in Seoul mit einem Pullover, auch der ziemlich dünn, über 2 T-Shirts warm halten. Zum Vergleich: Heute, am 20. November, war tagsüber kurzärmeliges T-Shirt-Wetter, zumindest so lange die Sonne oben war.

Das Hotel zu finden war nicht schwer, es lag tatsächlich sehr sehr zentral, noch dazu an einem Fluss/Kanal, der natürlich ein ideales Erkennungszeichen war. Auf dem Weg dahin kam ich an ein paar Ständen vorbei. Vor allem gab es da getrocknete Fischdinge, ähnlich wie auch in Japan. Interessant waren 2 ältere Herren, die gemütlich mit einer mechanischen Walze getrocknete Tintenfische in eine pergamentartige Struktur verwandelten. Wozu die dann benutzt wird, hab ich leider nicht herausgefunden. Hängen geblieben bin ich an einem Stand einer kleinen Oma, die Kastanien anbot. Ich habe leider das Gefühl für deutsche Preise verloren, aber der Vergleich zu Japan hat mich fast von den Füßen gehauen. In Japan kosten um die 12 Esskastanien etwa 1100 Yen, also etwa 10 Euro. Natürlich sind die dann riesig groß und besonders schön blablabla, aber man muss also etwa 1 Euro für 1 geröstete Maroni zahlen. In Korea kosteten 15 Stück 3000 Won, also 2 Euro!! Ich hatte die Tasche voller am Flughafen getauschter Won und musste mich zusammenreißen, ihr nicht ihren ganzen Karren abzukaufen. Was hätte das gekostet, 30 Euro? 50?

Vor den Kastanien lagen ein paar eichelartige Nüsse, daneben Papierbecher mit grünen Geleedrops oder sowas. Ich fragte, was das sei. Sie verstand nichts. Zwei koreanische Touristinnen gesellten sich zu uns und übersetzten für mich, dass es sich um Ginkgo-Nüsse handele. Okay, ich war im Kaufrausch, also bestellte ich auch gleich noch eine Tüte davon. Lustigerweise nahm sie dann eine Handvoll von den eichelartigen Dingern und röstete sie mit einem Sieb, wie man auf dem Foto hier sieht:

Spannenderweise werden sie nicht einfach nur heiß und man muss sie dann schälen, sondern die anscheinend sehr dünne Schale, oder eher Haut, fliegt in kleinen Funken davon und enthüllt darunter die leuchtend grünen Nüsse. Von den fertigen hab ich leider kein Foto gemacht, daher hier eines aus dem Internet, auf der rechten Seite sieht man sie:

Die Dinger sind ziemlich weich, wie die Jelly-Beans, falls die jemand kennt, und schmecken leicht bitter. Angeblich, so sagten mir die Touristinnen, seien sie gut fürs Hirn — nützlich zu wissen.

Vom Hotel habe ich leider auch kein Foto, weder von außen noch innen. Ich frage mich warum, ich vermute mal, dass meine Kopfschmerzen mich einfach nur irgendwie den Abend überstehen lassen wollten, und ich war ja auch immer noch ziemlich übermüdet. Das Zimmer war jedenfalls so in etwa so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Eher altertümlich eingerichtet, mit der gewissen schmierig-ranzigen Aura, die einen dazu anhält, so wenig wie möglich anzufassen, was man nicht anfassen muss. Eigentlich hatte das Hotel fast alles, was man von einem hässlichen alten Zimmer erwartet, aber das Zimmer gleichzeitig nicht unbewohnbar oder unerträglich  macht. Abblätternde Farbe, angeschlagene Porzellanteile im Bad, Flecken auf dem Teppich, verdreckt-schmuddeliges Fenster (mit einem klapprigen Hebel zu öffnen und dann lauten Straßenlärm hineinlassend), Geruch nach altem Rauch und zur Krönung, einen alten Wasserschaden in der Ecke.

Der nächste Schritt war, das köstliche koreanische Essen endlich auszuprobieren. Ich begab mich auf die Straße, mit dem Plan, in ein in meinem Seoul-Führer empfohlenes, halbwegs in der Nähe gelegenes Restaurant zu pilgern. Schon nach ein paar Schritten entmutigte mich die Kombination aus Kälte, Kopfweh und Müdigkeit vollständig. Interessanterweise hatte sich die Querstraße zwischen der Bushaltestelle und dem Hotel in eine Art Mobilrestaurant-Parkplatz verwandelt:

Alle dort parkenden Autos waren verschwunden, und überall standen nun diese Zelte. In jedem Zelt fand sich im Zentrum ein kleines Wagen mit Kochstelle und einer durchsichtigen Klappe, in der die vorhandenen Essenszutaten ausgestellt waren. Manche hatten hauptsächlich Fisch, andere Fleischsorten, manche fast nur Muscheln, und so weiter. Um das Kochmobil herum standen jeweils verschiedene klapprige Tische, und ebensolche Stühle vom Aussehen und Charme umgedrehter Bierkästen, kleine Plastikbänke… fast überall stand in einer Ecke ein Fernseher der ein Baseballspiel (Japan, Korea und die USA sind die Baseballnationen der Welt) zeigte, Teller und Bestecke waren aus Pappe und Plastik.

Ich suchte mir ein Zelt aus, in dem sonst niemand war, weil ich erstens der Köchin eine Freude machen wollte, die mich als einzige in der ganzen Reihe von Mobilrestaurants angesprochen und eingeladen hatte, und weil ich zweitens in Japan immer ganz gute Erfahrungen gemacht hatte, wenn ich allein irgendwo einkehrte. Einfach, weil die Bedienungen und/oder Köche dann meist Zeit und Lust zum Plaudern haben, und ich so ein bisschen Sprechen üben kann. In Korea war das natürlich Unsinn, wir kommunizierten in dem Zelt also nur mittels Gesten. Die Speisekarte schien mir erst rein koreanisch, und daher unverständlich zu sein. Auf den zweiten Blick entdeckte ich aber eine weitere Spalte, die eine japanische Übersetzung für die Gerichte anbot, so dass ich immerhin eine grobe Ahnung erhielt, worum es sich jeweils handelte. Leider bin ich aber in Bezug auf japanische Essensbezeichnungen auch nicht sehr gewandt. Das ist oft wie wenn man als Ausländer in Deutschland z .B. „Schwein“ kennt, aber dann „Pfefferhax’n“ oder „Eisbein“ oder sowas liest.

Am Ende zeigte ich dann einfach auf das Fleisch in der Auslage, das mir am wenigsten fettig erschien. Das stellte sich dann als Hühnerherz heraus, was an sich nicht schlecht war, aber als alleiniges Gericht dann nach einigen Mundvoll ein bisschen schwierig runterzukriegen war. An dem Abend war mir aber alles egal, ich wollte nur soviel in den Magen kriegen dass ich einschlafen konnte, und endlich ins Bett. Zu den Herzen gab es gratis noch ein einer Plastikschale eine Suppe, eigentlich eher eine Art rötliches, scharfes Wasser mit ein paar dünnen Tofu-Streifen, die für mich aber auch wie Eingeweide aussahen und schmeckten. Statt einer Konversation beschäftigte sich die Köchin mit dem Fernseher, ich zwängte soviel ich konnte in mich hinein, holte mir in einem Loch-in-der-Wand-Mini-Supermarkt noch Wasser und ein paar Kekse fürs Frühstück, und floh dann in mein Zimmer.

Der Schreck, ein widerliches Insekt auf meinem Kopfkissen entdeckt zu haben, verflüchtigte sich, als ich merkte, dass es sich stattdessen um ein kleines, 2mm weites Brandloch im Bezug handelte. Ich tauschte die Kissen aus und legte mich endlich hin, in der Hoffnung, dass das Kopfweh auch ohne Tabletten am nächsten Morgen dann weg wäre.

Nach Korea

November 19, 2011

Da ich unbedingt auch Korea besuchen wollte, fragte ich einen ehemaligen Mitarbeiter unserer Arbeitsgruppe in München, ob er von irgendwelchen Konferenzen dort wisse, oder ob es gar jemanden gäbe, der sich vielleicht für einen Vortrag von mir interessiere. Überraschenderweise kam ziemlich schnell eine Antwort, dass gleich in der folgenden Woche ein kleiner Workshop stattfände, und ich mich schnell entscheiden solle. Ein paar Tage später, nachdem ich die Erlaubnis meines japanischen Chefs eingeholt hatte, sagte ich zu.

Korea ist, zumindest bei mir, für 2 Dinge berühmt: Hervorragendes Essen, und das Computerspiel Starcraft. An Essen heranzukommen war kein Problem, aber unglücklicherweise lag der Workshop genau in einer zweiwöchigen Ruhepause, wo keine Liga-Spiele in Starcraft stattfinden würden. Das war natürlich sehr enttäuschend. Was es gab, war das große Qualifizierungsturnier für Code A, so etwas wie die zweite Bundesliga (die erste Liga ist Code S). Das Turnier hat den Ruf, eines der schwersten der Welt zu sein, da sämtliche junge Starcraft-Spieler Koreas, zusammen mit einigen aus der internationalen Szene, dort antreten. Also so in etwa als würden ca. 600 Nachwuchs-Fußballspieler Deutschlands in einem großen Turnier mitspielen, und die 16 Gewinner würden in die B-Mannschaften der besten Vereine aufgenommen werden, mit der Chance, in die A-Mannschaft zu kommen. Üblicherweise werden Spieler, die sich qualifizieren, sofort in eines der großen Teams aufgenommen, wenn sie nicht schon dort sind.

Zufällig sah ich, während meiner Planungsphase in Japan, eine Live-Show von Starcraft-Kommentatoren recht spät abends, so dass nur wenige Leute außerhalb der koreanisch-japanischen Zeitzone zusahen. Einer der Kommentatoren, ein Deutscher der sich nach Korea aufgemacht hat um dort für Code A zu kommentieren, interagiert gerne mit Zuschauern, so dass ich die Chance hatte, an die beiden die Frage loszuwerden, ob es möglich ist, das Qualifikationsturnier zu sehen. Die Antwort war, es sei möglich, aber nicht ratsam. Die Atmosphäre sei extrem angespannt, und keiner der Spieler, Trainer und Kommentatoren hätte wirklich Zeit für Gespräche, Autogramme oder sonstwas. Das war nachvollziehbar: wie gesagt ist das Turnier extrem schwer, und ist die große Hürde für junge Talente, nach deren Überwindung (spätestens) eine Karriere als professioneller Starcraft-Spieler möglich wird. Ich  nahm mir also vor, 2 Tage vor der Konferenz anzureisen (statt nur 1 Tag vorher, Flüge am Tag der Konferenz selbst waren 100 Euro teurer) und einfach kurz bei dem Qualifikationsturnier vorbeizuschauen.

Für die 2 Tage des Workshops wurde mir von denen ein Hotel gestellt, zumindest wurde mir das gesagt. Die Kommunikation diesbezüglich lief so: „Bitte teilen Sie uns mit, falls wir für Sie eine Unterkunft besorgen sollen, und ob für 1 oder für 2 Tage.“ – „Ja, bitte für 2 Tage“  – und dann keine Antwort mehr. Ich nahm einfach an, dass das schon in Ordnung gehen würde. Für die 2 Tage vorher suchte ich mir also auf einer Hotel-Webseite ein Hotel, eine Betätigung, die ich verabscheue. Immer wenn man ein bezahlbares Hotel findet, liest man dazu 14 Kommentare auf diversen Websites, was das doch für ein dreckiges schmieriges Loch sei und wie man diese und jene schreckliche Geschichte dort erlebt habe. Aber was soll’s, irgendein Hotel muss man ja am Ende doch auswählen, und die ohne schlechte Bewertungen gehen bei gut über 100 Euro pro Nacht los, das war es mir einfach nicht wert. Nach dem Workshop wollte ich noch 2 Tage Sightseeing anhängen, brauchte also noch ein Zimmer für eine weitere Nacht.

Für die ersten 2 Nächte fand ich das „Hotel Central“, das wirklich sehr zentral liegt und mit ca. 60 Euro pro Nacht halbwegs bezahlbar war. Danach sollte ich ja in das von der Yonsei Universität bezahlte Hotel „Casaville“ einziehen, wo das Zimmer etwa 105 Euro die Nacht kostete. Für die letzte Nacht mietete ich ein Zimmer im Hotel „Hill House Hotel“ am Südende von Seoul.

Anfangs stand die Reise unter keinem guten Stern. Ich hatte die Nächte zuvor jeweils sehr wenig geschlafen, was an einer Kombination aus Einschlafproblemen bis spät nachts (etwa 3 Uhr morgens) mit frühmorgendlichen Verpflichtungen (Teilnahme an Workshop am RIKEN in Wako am Freitag und Samstag) lag. Tatsächlich gelang es mir an 2 Tagen erst einzuschlafen, nachdem ich eine japanische TV-Sendung über Dampflokomotiven entdeckt hatte. Die Sendung dauerte insgesamt 2 Stunden, mehr als eine war aber nicht nötig um mich hinreichend zu langweilen. In diesem Programm wurde eine Dampflokomotive im Vorkriegsjapan nach der anderen vorgestellt, mit jeweils ein paar Archivbildern, der einen oder anderen Filmaufnahme, und den technischen und historischen Details. Also so in etwa, wie und warum die BA-2351 anders ist als die BE-1501, wann die eine die andere ersetzte und was diese Typenbezeichnungen genau bedeuten…. na, schon schläfrig geworden? Diese Sendung half mir 2 Nächte hintereinander in den Schlaf – ja, es gab tatsächlich einen zweiten Teil, wo dann auch Dampflokomotiven Europas vorgestellt wurden. Das einzige, was mich wieder ein bisschen aufrüttelte, war, dass die Jahre kurz vor und während dem zweiten Weltkrieg völlig ausgeblendet wurden. Gab es da etwa keine Dampfloks? Oder wofür wurden die da verwendet? Ich hatte bisher ja nur vom Hörensagen (und ein oder zwei Stichproben) mitbekommen, dass die japanische Aufarbeiten des 2. Weltkriegs generell zu wünschen übrig lässt — das Zugprogramm widerlegte dieses Vorurteil jedenfalls nicht.

Ich hatte also einige Tage lang nur 5 bis 6 Stunden täglich geschlafen, was sicher auch eine Rolle spielte, warum ich den Zahltag für meine Nebenkosten verpasste. Ich hatte die Rechnung über etwa 60 Euro Anfang Oktober erhalten, mit der Aufforderung, bis zum 22. Oktober zu bezahlen. Selbstverständlich wurde dies von mir als Aufforderung, am 22. Oktober zu zahlen, registriert. Das war allerdings ein Samstag, wo das Zahlungsbüro geschlossen ist, so dass ich am Freitag, den 21. Oktober hätte zahlen müssen. Da war aber die Konferenz, und als mir um 17:30 die Rechnung wieder einfiel, war das Büro schon 30 Minuten zu. Am Montag war aber mein Flug nach Korea, und ich würde erst eine Woche später zurückkommen, also musste ich am Montag morgen vor dem Flug noch schnell in das Büro, die Rechnung zu begleichen. Weil das Büro erst um 9 Uhr öffnet, fand ich gerade noch ein günstiges Fenster zur Anreise an den Flughafen, für das ich allerdings zügig bezahlen und dann zum Bahnhof hasten musste.

Wahrscheinlich brauche ich nicht extra zu erwähnen, dass ich auch am Sonntag abend erst spät ins Bett kam, unter anderem weil ich das Packen zu lange hinausgezögert hatte, so dass ich auch am Montag morgen nur 5 oder 6 Stunden Schlafs hinter mir hatte. Immerhin klappte das Zahlen, und ich erwischte auch einen halbwegs frühen Zug. Die Zugplanungs-Webseiten geben immer recht knappe Umsteigezeiten an, die aber so nur machbar sind, wenn man sich an den Bahnhöfen gut auskennt. Auf dem Weg zum Flughafen musste ich an einigen Stationen vorbei, die ich noch nicht kannte, musste also entsprechend längere Umsteigezeigen einplanen. Weil in Japan viele staatliche, städtische und private Zuglinien miteinander konkurrieren, die meist ihre eigenen Bahnhöfe haben, muss man oft aus dem einen Bahnhof raus, und den Bahnhof der anderen Linie finden. Manchmal muss man dabei aus dem Untergeschoss raus auf die Straße und in einen Bahnhof der sich im 2. Stock eines Kaufhauses befindet (das manchmal dann ebenfalls der Zugliniengesellschaft gehört) und so weiter, und natürlich ist die Beschilderung auch  nicht immer optimal.

Schließlich saß ich aber im Expresszug zum Flughafen Narita. Irgendwann schaute ich mal ein paar Seiten meines Passes an – da fiel mir das Informationsformular zur Beantragung meines Gaikokujin-Tôrokusho auf, das ist das Ausländer-Erfassungszertifikat. Ich hatte das damals nur überflogen, weil mir die Dame in der Verwaltungsbehörde Wako ja verständlich erklärt hatte, wie das ganze funktioniert – dachte ich! Wie sich herausstellte, gab es da doch ein Missverständnis. Ich hatte, vielleicht aufgrund meiner Kenntnis der deutschen Behörden, angenommen, dass dort stünde, ich solle das fertige Zertifikat ab dem 13. bis 19. Oktober abholen. Zugegeben, eine etwas merkwürdige Angabe, schließlich hätte dann da auch gleich stehen können „ab dem 19. Oktober“. Tatsächlich stand dort auch „zwischen dem 13. und dem 19. Oktober“, was ich wohl irgendwie bei der Beantragung so unwahrscheinlich fand, dass ich das völlig ausgeblendet hatte. Bei deutschen Behörden dauert sowas doch immer ewig, und dann liegt es auf der Behörde rum und man kann es abholen. Dass man es innerhalb einer Frist abholen muss — naja, gut, ich hätte es ja nur lesen müssen.

Da wurde mir ziemlich mulmig im Zug. Würde die Immigration, oder die Emigration, da Probleme verursachen? Auf dem Papier stand auch, wenn man das Ding nicht innerhalb des Zeitraums abholte, würde man „penalized“, also bestraft, werden. Das bezog sich auf eine Geldstrafe, aber ich konnte mir gut vorstellen, dass eine Einreisebehörde es nicht gerne sah, wenn man sich quasi unregistriert im Land aufgehalten hatte, und nun wieder zurück wollte. Natürlich HATTE ich mich registriert, das bezeugte ja das Papier das ich hatte, aber wie gesagt, ich war müde, mein Hirn lief auf 25-50% der normalen Kapazität, und mir schien das alles zumindest so gefährlich, dass ich mir vornahm, vor der Abreise mit irgendwem von der Immigrationsbehörde am Flughafen zu sprechen und zu fragen, ob es denn da ein Problem geben würde. Flug und Hotels waren schon bezahlt, aber wenn ich nachher nicht wieder ins Land reinkäme, dann würde ich wohl doch in Japan bleiben müssen.

An der Information sagte man mir, es gäbe eine Immigrationsabteilung im Sicherheitsbereich, nach dem Check-In. Also begab ich mich zum Schalter, die Dame blätterte durch meinen Pass und fragte mich, „Sir, where is your re-entry permit?“. My was? Ich hatte vor der Reiseplanung überprüft, ob ich für Korea ein spezielles Visum bräuchte, und dem war nicht so. Was ich nicht überprüft hatte ist, ob man einfach so wieder nach Japan rein kann, wenn man mal draußen ist. Irgendwie hatte ich das als selbstverständlich angenommen, schließlich gilt mein Visum ja bis Mitte März. Man braucht aber eine Wiedereintrittsgenehmigung. Im Wesentlichen scheint mir das eine Schikane zu sein, die dem japanischen Staat nebenher noch schnell 30 Euro einbringt. Für diese Genehmigung kann man auch nicht zur lokalen Verwaltung, wo man z.B. die Ausländerregistrierung macht, sondern man muss zur Immigrationsbehörde der Präfektur Saitama, wo ich ursprünglich auch das Visum ändern hatte lassen – aber dafür war jetzt natürlich keine Zeit mehr.

Ich machte ein langes Gesicht, die Dame erklärte mir aber, dass man einen „Freischuss“ habe – es gebe am Flughafen ein kleines Immigrationsamt (eben das, das ich ohnehin besuchen wollte wegen der Registrierung), das aber nur für Notfälle da sei. Dort könne man einmal, und nur einmal, eine vergessene Wiedereinreisegenehmigung bekommen. Sie begleitete mich zum Postamt des Flughafens, wo ich die 30-Euro-Briefmarke für das Formular kaufte, und dann durch einen Sicherheitsbereich in die Verwaltungsräume des Flughafens. Während ich dort ein paar Papiere ausfüllte – zum Beispiel eine Versicherung, dass ich verstanden hätte, dass ich nur einmal, ja, einmal, die Genehmigung hier bekäme – brachte sie noch zwei weitere Personen dorthin, darunter auch eine Japanerin. Es passiert also nicht nur übermüdeten Fremdlingen, dass sie diese Schikane vergessen. Dort erfuhr ich dann auch gleich, dass meine Ausländeregistrierung soweit in Ordnung war und ich einfach dann schnellstmöglich die tatsächliche Registrierungsbescheinigung abholen sollte.

Endlich ging es ins Flugzeug. Ursprünglich wollte ich dort endlich schlafen, aber das Filmangebot war recht gut, so dass ich mir irgendeinen mittelguten Film ansah, für den ich kein Geld ausgeben wollte. Neben mir fragte mich eine Dame mittleren Alters auf Japanisch, wie ich das hinbekommen hätte. Ich machte mich daran, ihr zu helfen, und fragte dazu, ob sie denn absichtlich alle Anzeigen auf Koreanisch hatte. Überraschenderweise bejahte sie – es handelte sich um eine Koreanerin. Das war interessant, japanisch als beiderseitige Fremdsprache zur Verständigung zu benutzen. Das war dann allerdings auch die letzte Koreanerin, bei der mir Japanisch weiter half. Es heißt, dass vor allem die älteren Koreaner japanisch sprechen und verstehen. Aber da diese es oft nicht freiwillig, sondern während der Besatzung gezwungenermaßen gelernt haben, versuchte ich es mit Japanisch in Korea nur sehr selten, und dann immer ohne Erfolg.

Der Flug war soweit in Ordnung, aber ich muss komisch gesessen haben (vielleicht bereits im Zug, vielleicht war es auch die Müdigkeit), denn ziemlich bald entwickelte ich jene extreme Art von Kopfschmerz, die vom Nacken nach oben wandert, und von der ich weiß, dass sie ohne ordentlich starke Tabletten 1-2 Tage anhalten. Tabletten hatte ich natürlich keine mitgenommen nach Korea… und so konnte ich nur hilflos dasitzen und versuchen, mit Massieren und Lockerungsübungen gegenzusteuern – allerdings erfolglos.

Am Flughafen hatte ich bei der Information erst eine Schreckminute, als man mir erzählte, ich hätte die Wahl zwischen einer sehr komplizierten, aber etwas billigeren Zugfahrt in die Stadt, oder dem Bus, der 10.000 koreanische Won kosten würde. 10000, in Worten zehntausend Won!! Ich fragte, was denn der Zug koste, das belief sich auf 6000 Won, das ließ ich mir dann Euro umrechnen – etwa 4 Euro… Da hatte mich die seit Monaten praktizierte Yen-Umrechnung von 105:1 etwas genarrt, denn mit etwa 6,50 Euro war die Busfahrt dann nun wirklich nicht teuer. Das Flughafengebäude verlassend, verließ ich dann anscheinend auch gleichzeitig die Zone der nicht-akademischen englischsprechenden Bevölkerung Seouls. Schon die Busfahrer und -einweiser konnten nur durch eifriges Gestikulieren und Auf-Karten-Zeigen von meinen Absichten in Kenntnis gesetzt werden. Immerhin gelang es mir, zu erfahren, dass ich nicht da einsteigen sollte wo ich einsteigen wollte, sondern auf den nächsten Bus warten sollte.

Meine Kopfschmerzen waren zu diesem Zeitpunkt voll erblüht, also bemühte ich mich, den Kopf ruhig zu halten. Laute Geräusche waren extrem unangenehm, Quietschen und Scheppern beinahe unerträglich, also hoffte ich, dass niemand rumschreien oder rumhupen würde oder ähnliches. Ich schließe diesen Blog-Eintrag mit der unmittelbar auf diesen Wunsch folgenden Begebenheit, von der ich ein  kurzes Video gemacht habe. Besser hätte das in einer amerikanischen Sitcom auch nicht aufeinanderprallen können. Rechts sieht man das Flughafengebäude, die Busse halten knapp außerhalb des linken Bildrands:

http://youtu.be/dMdO037pThU